PROG-METAL oder ART-ROCK? WAHNSINN oder HUMBUG?
Vorsicht - gegen die giftig Lächelnden hilft keine Medizin, sondern nur ein auf Anschlag gedrehter Lautstärkeregler!
Da kann uns das Cover (egal ob´s gefällt oder nicht) vormachen, was es will. Die Pille, die wir hier schlucken müssen, ist garantiert kein Placebo, sondern ein berauschendes, höchst wirksames, progressiv-metallisches Aphrodisiakum! Sie macht uns abhängig, berauscht uns … und wirft in den „nüchternen“ Momenten die Frage auf, warum wirkt diese Medizin nicht ansteckend, sondern bleibt gänzlich unbeachtet im weltweiten Krankheitsrausch progressiv-faszinierender Musik. Die Antwort: eine Pille soll etwas bekämpfen, aber nicht vermehren … doch auch umgekehrt betrachtet würde eine Antwort sehr interessant erscheinen, denn diese Pille bekämpft einerseits jegliche Art oberflächlichen Musikgeschmacks, um am Ende andererseits dem „Abhängigen“ zu offenbaren, wozu Musik fähig ist: zu Gefühl, zu Leidenschaft, zu Härte, zu Ruhe, zu Verrücktheit, zu Kompromisslosigkeit und zu (musikalischen) tabulosen Grenzüberschreitungen.
Nun würde ich sofort akzeptieren, wenn jemand, der diese Zeilen liest, behauptet, ich sei ein grandioser Spinner, der sich vor(ein)genommen hat, auf predigerhafte Art und Weise ein Album zu pushen, dem er akustisch blindlings auf den Leim gegangen ist. Doch weit gefehlt. Manchmal will der Enthusiast auch andere „Spinner“ an seiner Seite sehen, die ähnlich fühlen wie er – oder ihm zeigen, dass er sich verrannt hat. Nur sind diese Fans nicht unter uns Europäern verbreitet zu entdecken, sondern mehr in Südkorea, wo TOXIC SMILE noch vor ein paar Jahren mit solchen Acts wie SEPULTURA und SLAYER Stadien füllten. Bei uns bekommen sie leider kaum mal einen größeren Saal voll.
Nach dem nur in Südkorea erschienenen Album „MAD“ liegt nun das zweite, diesmal auch in Europa unkompliziert käuflich zu erwerbende Album „RetroTox Forte“ vor, das schon nach dem ersten Hördurchgang die Frage aufwirft: „Dürfen die denn sowas?“ Gerade wo progressive Rockmusik doch immer den Anspruch auf Ernsthaftigkeit und Metal den Anspruch auf unerbittliche, manchmal etwas beängstigende oder düstere Härte erhebt, beginnen TOXIC SMILE, die in beiden Genres zuhause sind, alle Grenzen zu sprengen und einen musikalischen Freigeist zu entfalten, der sprachlos macht.
So umfasst die musikalische Palette dieses Pillen-Albums eine stilistische Vielfalt, die neben dem Progmetal und dem klassischen Prog auch Jazz, Balladen, Volksliedgut (ohne Quatsch), Rap-Elemente, akustische Gitarren- und Klavier-Passagen, schräge Musik-Späße, Toilettenspülungen, Modem-Einwahlen und einen klassischen Chor sowie Oper-Ansätze der besonderen Art zu bieten hat. Außerdem erklingen neben faszinierenden Saxofon-Einlagen sogar Flöten-Passagen, die in ihrer ungewöhnlichen Art kaum zu übertreffen sind, mehr will ich einfach nicht verraten …
Der heimliche Höhepunkt dieser CD ist wohl unumstritten der 12minüter „Confidence In Deception“, bei dem es selbst den Mannen von SPOCK´S BEARD schwindlig werden würde und das alles ohne irgendwelche göttlichen Motive, sondern ein Titel, der auf dem Teppich und im Hier und Jetzt bleibt, ohne in den Himmel zu schielen. Und dass solche Musik nicht nur bei einem Kritiker, der ja „praktisch“ im Spielen von Musik nicht so bewandert ist, ankommt, sondern auch bei absoluten Musik-Profis, beweist schon die Tatsache, dass auf diesem Album neben ehemaligen Sängern des Kreuzchores auch ein Gründungsmitglied DER progressiven Rock-Band der DDR, nämlich NORBERT JÄGER von der STERN-COMBO MEISSEN, der sich auch als Fan von TOXIC SMILE bezeichnet, mitwirkt.
Wer auf DREAM THEATER steht oder THRESHOLD mag oder eine SYMPHONY besonders mit dem X in Verbindung brachte oder SPOCK´S BEARD unter Neals Leitung verehrte, aber nicht plagiatives Nachgespiele hören will, der wird in TOXIC SMILE einen kleinen Edelstein aus dem „Tal der Ahnungslosen“ (So bezeichnete man zu DDR-Zeiten das Land Sachsen) entdecken!
FAZIT: Was diese Band aus Leipzig, die es zwar in Korea mit ihrem Album M.A.D. zu großen Ehren brachte, aber im Bohlen-Deutschland ein Schattendasein fristet, hier abliefert, ist Prog-Rock & Prog-Metal der Extraklasse. Wer hier nicht begeistert ist, hat seine Ohren wohl am völlig falschen Fleck ;-) Ich hab´s noch nie getan, doch einmal muss immer das erste Mal sein: 15 Points for TOXIC SMILE!
Punkte: 15/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 29.01.2008
Robert Brenner
Larry B.
Uwe Reinholz
Marek Arnold
Daniel Zehe
El Ben, Herr Condé, Das Eis, Oli G., Groovin’ George (Choir On „Voix Du Passé“), Norbert Jäger (Tabla, Percussion & Electr. FX On Tracks 4, 8 & 9), Marek Arnold (Saxophone)
Famous Kitchen
69:27
2004