Ein Mann. Mit Aktenkoffer. Im Anzug. Von hinten.
Ob Beamter oder Versicherungsvertreter oder Unternehmer oder Politiker – das scheint völlig egal. Zumindest ist es einer von vielen, die sich wegen angeblicher Anerkennung oder erfolgreicher Abschlüsse uniformieren müssen, auch wenn sie den teuren Zwirn, den sie an sich tragen, keinesfalls als Uniform empfinden. Nein, diese (un)freiwillige Uniform verleiht ihnen Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit und macht sie zu dem, was sie sein wollen: graue, nadelgestreift-vornehme Masse!
Genau einer dieser Vertreter steht auf dem seltsam anmutenden Booklet von „Oasi Di Cemento“ (Oasen aus Zement), eingerahmt von grauen Wolkenkratzern, vor und inmitten von einem blutroten Gebilde, das zum größten Teil die Blumen dahinter verdeckt. Ein bedrückendes Bild von Entfremdung und Kälte. Es illustriert zugleich ein Album, das ganz ähnliche musikalische Eindrücke vermittelt.
Hinter der Musik verbirgt sich der Italiener GIORGIO MAGGIORE. Ein Multiinstrumentalist, der angefangen von den Kompositionen, über die Texte bis hin zur musikalischen Ausführung und Produktion alles im völligen Alleingang zu meistern versucht – mit dem Ergebnis, dass es auf der einen oder anderen Seite natürlich unvermeidliche Schwächen gibt bzw. geben muss. Das alles machen aber der grenzenlose Idealismus und die Leidenschaft, die sich hinter dem Wunsch, eine CD in völliger Unabhängigkeit von Anfang bis Ende wie ein Baby entstehen und groß werden zu lassen, locker wett.
Die musikalischen Vorbilder für MAGGIOREs Musik sind recht eindeutig in den 80er Jahren verwurzelt, als besonders in Europa eine „Neu Welle“ die bis dahin recht gängige Disco-Kultur überschwappte. Sie brachte die verschiedensten Knospen hervor, die manchmal, nachdem sie aufgegangen waren, nur als billige Kunstblumen-Mogelpackung daherkamen. Aber es gab auch diese „Düstere Welle“, die solche Bands wie THE CURE, JOY DIVISION, BAUHAUS oder die COCTEAU TWINS mit sich brachte, die noch heute hohe Anerkennung und Aufmerksamkeit genießen. Genau in diesem Umfeld bewegt sich die Musik des Mailänder Multiinstrumentalisten – allerdings nicht mit der Professionalität der genannten Bands.
Schon beim ersten Titel fällt auf, dass die Musik deutlich die dunkleren Wege einschlägt und passend den Titel des Albums vertont. Ein manchmal fast störendes Element ist aber eindeutig der Gesang, der zwar mal mit viel Hall versehen wird, dann als Chor-Variante daherkommt oder manchmal sogar opernhafte oder quäkige Grundzüge annimmt. Irgendwie ist das ganz typisch italienisch – und oft frage ich mich, warum gerade unsere Südeuropäer, denn für Frankreich gilt Ähnliches, so oft auf solche (häufig nervende, auch schiefe) Gesangsakrobatik zurückgreifen müssen. Trotzdem bleibt positiv zu bemerken, dass GIORGIO MAGGIORE die Texte in seiner Muttersprache singt und viel wert auf deren Aussagekraft legt. Daher dreht sich das Konzept dieses Albums wohl auch um die Entfremdung des Menschen in den unpersönlichen Betonwüsten, die in fast jeder größerer Stadt entstehen – und die extrem unterschiedliche Intonation des Gesangs soll dies wohl zum Ausdruck bringen. Es sind die Gegensätze, die diese CD ausmachen – der Gegensatz von Beton und Natur oder Natürlichkeit und Scheinwelt, aber auch von guter Instrumental-Musik und schwachem Gesang.
Wer in diesem Moment meinen Worten oder Beschreibungen misstraut, sollte sich einfach mal die Mühe machen und unter www.myspace.com/giorgiomaggiore einige Titel probehören.
Titel 4 stellt dann gesanglich, aber auch musikalisch den totalen Tiefpunkt des so gut gemeinten Albums dar. Das war genau die Form von New Wave, die ich nie ausstehen konnte – schrammelnde E-Gitarren und aufgesetzter, schiefer Gesang. Der folgende, deutlich ruhiger gehaltene Titel beseitigt dann aber die Ängste, ob der Rest des Albums auf solchem Niveau bleiben wird.
Überhaupt empfinde ich dieses Album als ein sich musikalisch deutlich steigerndes Werk, das seine schönsten Momente in den Instrumentalpassagen hat. Bestes Beispiel hierfür ist der Titel „Quel tempo tornerà“, der mit einem wundervoll gezupften, akustischen Gitarren-Intro eingeleitet wird und selbst der Gesang ist nur wenig verfremdet. Gerade in diesen Momenten, wo MAGGIORE den New Wave zart glättet und akustische Klänge überwiegen, liegen die Stärken des gesamten Albums – nur sind sie noch zu gering. Doch sie lassen hoffen, darauf, dass die wavigen 80-er von den natürlicheren Tönen der Gegenwart abgelöst werden.
Überraschend schlägt dann „Anima anonima“ völlig neue Wege ein. Das fast 6minütige Stück hebt den musikalischen Sargdeckel, um in das Reich des Gothic hinabzusteigen. Ein TILO WOLFF von LACRIMOSA hätte diese Stimmung auch nicht besser hinbekommen oder anders intoniert, aber eben besser gesungen. Das folgende Instrumental „Nuvola“ setzt dann genau diese Stimmung fort. Eine wahre Freude für all diejenigen, die sich genauso wie der Herr auf dem Booklet uniformieren – nur eben nicht mit Nadelstreifenanzügen, sondern ganz in bedrohlichem Schwarz.
Leider folgt diesen etwas bedrückend-bedrohlichen Klängen dann der nächste musikalische Rohrkrepierer. Ein rundum schief instrumentierter und gesungener Song, mit einem stampfenden Grundrhythmus, der einfach nur nervt. Aus meiner Sicht neben dem vierten Titel ein weiterer völlig überflüssiger Song. „Virus nel tuo file“ setzt dann zum Glück dort wieder an, wo das Album begann, beim düsteren New Wave.
Das zweite Instrumental von „Oasi Di Cemento“ – Il ritorno a casa – ist das ruhigste und einfachste Stück des gesamten Albums. Man hat den Eindruck, so eine Art Schlaflied zu hören, entspannt und schön.
Mit der Frage: „Cosa rimane?“ (Ich glaube, das heißt soviel wie „Was bleibt?“) geht diese abwechslungsreiche, aber leider auch sehr wechselhafte CD zuende. „Cosa rimane?“ ist ein ehrwürdiger Schluss – fast ausschließlich instrumental und sich boleroartig steigernd. Ein gelungener Abschied von den Beton-Oasen.
FAZIT: Mit „Oasi Di Cemento“ lernt der neugierige Hörer den in unseren Breiten völlig unbekannten Italiener GIORGIO MAGGIORE kennen. Ein Multiinstrumentalist, der in totaler Eigenregie ein Debut-Album veröffentlichte, das an die Vergangenheit des düsteren New Waves der 80er Jahre anknüpft und dabei diese längst vergessene Zeit in die (italienische) Gegenwart zurückholt.
Punkte: 7/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 02.02.2008
Giorgio Maggiore
Giorgio Maggiore
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Eigenvertrieb
66:40
2005