Man muss Humor mitbringen für Hening Paulys zweiten Solostreich – oder zumindest die krude Art des Exil-Deutschen teilen, denn dieses Album ist aus Zeitvertreib entstanden und nimmt sich nur halb Ernst. Verbietet Künstlerethik in Zeiten von Eindrucksflut und sensueller Überreizung, ein Album „aus Spaß“ in zwei Wochen zu schreiben (mit Autorenteam aus dem Labelstall) und aufzunehmen? Textlich setzt man sich meist sarkastisch mit dem Musikgeschäft auseinander – zweifellos hat sich Pauly nicht bekleckert, denn seine Spiel-, Produktions- und Kompositionskünste genügen höchsten Ansprüchen, und vor allem trägt das, was er anpackt eine eigene Handschrift. Man erkennt sofort, wer hier am Werk ist, wenn man Chain und Frameshift kennt. Juan Roos ist der Sänger und kommt von Transmission, einem Chain-Ableger. Die CD ist vorweg gesagt definitiv äußerst abwechslungsreich und dicht arrangiert. Indes: Quantität und Wertigkeit müssen trotz ausgereizter CD-Kapazität gegeneinander abgewogen werden.
Ein harsches Thrash-Riff eröffnet den Reigen über elektronischem Unterbau; dieser ist die gesamten 80 Minuten lang präsent, aber wie bei Frameshift geschmackvoll eingewoben. Auch Roos ist hier nicht so weit von Sebastian Bachs Darbietung auf „An Absence of Empathy“ entfernt; nur die gut programmierten Drums und Banjo-Klänge zeigen, dass es hier anders -unbekümmerter – zugehen wird. Mit „Cure The Breach“ ist mein einziger persönlicher Absacker schon an zweiter Stelle platziert. Musikalisch der vorgegebenen Linie folgend, kann ich mich mit dem vereinzelt auftretenden Sprechgesang (von Mitkomponist Matt Cash) nicht anfreunden - nicht, dass Pauly hier auf die Charts schielte oder Linkin Park nachahmte, wohlgemerkt, und es sind bloß ein paar Zeilen...Dieser Einschlag rührt bestimmt vom universellen Blick, den ein auch produktionstechnisch beschlagener Musiker hat: Der Inszenierung von Popmusik kann bekanntlich sogar ein Extrem-Metal-Produzent wie Peter Tägtgren etwas abgewinnen.
Dass Roos für solche Gesten sowieso stimmlich zu gut bestückt ist, zeigt er im Folgenden vor feinen Gitarrenklängen mit hymnischem Ausdruck bei „Three“. Einen solchen hat auch der „feinfühlig“ betitelte vierte Track, der gleichfalls den Aufhänger für den abschließenden „Bonus“ gibt. Ein brutales Speedriff ist der Ausgangspunkt für teils unmelodische, angezerrte Vocals, allerlei Fiepen und Zischen sowie tanzbare Beats. Dann werden die Badesalz-Figuren Headbanger und Richie gesampelt, und im besagten Abschluss später auch Mundstuhl...was wohl die Amerikaner dazu sagen? Originell ist es, aber auf einer Rockplatte...wie gesagt, Geschmacksache...
Der Wahnsinn setzt sich in einer Startum-Verweigerungshymne fort, wo Pauly tatsächlich Peter Lustig mit dem funkigen „Löwenzahn“-Thema in den Ruhestand begleitet – schon witziger, weil unterschwelliger, und die Musik stimmt nach wie vor, inklusive psychedelischem Gewaber und Filmsamples. Zitate anderer Kindersendungs-Titelmelodien sind im übrigen auch auf dem Album versteckt.
Sechstens wird es schwer und rhythmisch mit coolen Gesangslinien, die nach elektronischem Geschnaube cleane Licks etwas melancholischer untermalen. So bleibt es auch im nächsten Stück - fast eine typische Pianoballade, wäre nicht der synthetische Bass samt Klopfgeist. Roos entpuppt sich einmal mehr als Chamäleon, indem er einem der gelungensten Stücke einen Saviour-Machine-Eric-Clayton-Anstrich verpasst. 80er Affinität hegte Pauly schon immer; in „Radio Sucks“ mimt er demnach den Good-Time-Rocker, Roos den klassischen Melodic-Frontmann. Die Info-Vergleiche mit David Coverdale sind nicht weit hergeholt.
Ohne Witz geht es auch hier nicht: mitten im Solo wird durch die Radiokanäle geschaltet...
„Halo“, vom gleichnamigen PC-Spiel samt Score inspiriert, ist ein Highlight mit Keyboard und Gitarrenleads im Einstieg, martialischen Trommeln und dem vollen Bombast-Programm an Streichern. Samples kommen unterschwellig, offenbar aus dem Spiel entlehnt (bin in meiner Entwicklung beim Super Nintendo stehengeblieben...). Roos packt wieder die weiße Schlange aus – sehr gut!
Um Urheberrechte geht es darauf, und zwar tiefgelegt und groovend. Roos erweist sich wieder als herausragender Aspekt. Der „German Metalhead“ ist unerwarteterweise gleichsam modern, und Cash darf hier wieder sprech-singen. Der Text macht dies aber wett – hier musste ich das einzige Mal wirklich lachen, während das Stück ohne Verfolgen der Lyrics relativ seriös klingt – wie auch die Zocker-Hommage, die das Dutzend voll macht. Queen-mäßig mehrstimmig beginnend, entwickelt sie sich zum fetzigen Rausschmeißer. Den erwähnten Bonus als nettes Comedy-Hörspiel sehe ich in der Tat als nicht mehr an, als sein Titel besagt.
Was also ist von „Credit Where Credit is Due“ zu halten? - Sicher ist, dass deutsche Hörer bei Bedarf damit mehr Spaß haben werden als dicht-Insider in germanischen Blödsinn. Blendet man die Albernheiten aber aus, bleibt die Scheibe erstaunlich homogen und ereignisreich. Die Songs stimmen allesamt, bestechen durch tolle Melodien, deren Dichte auch durch die Co-Writer zu erklären ist, denn selbst der abgeklärteste Schreiber bringt in zwei Wochen nichts derart Treffsicheres allein zu Stande. Scheinbar verhalfen dem Schnellschuss der Produktion die bei den Beteiligten angestauten Ideen zu genügend Substanz. Das Dargebotene ist zu gut, um als schnell schales Fun-Album unterzugehen. Meine Wertung bezieht sich auf die Güte der Songs, denn das Drumherum kann man leicht ignorieren und so solide moderne Rockmusik mit Metal-Einschlag hören.
Die Art wie sich Pauly im liebevoll gestalteten Booklet gibt, macht ihn sympathisch - Was aber tun als Vollzeitmusiker, der die Butter auf’s Brot bekommen muss? Der Output dieses Mannes ist enorm; vielleicht täte ihm eine Pause vor dem nächsten Opus gut. Andererseits: diese CD war sicher ein relaxteres Unterfangen als die Arbeit mit Sebastian Bach...
FAZIT: Es liegt am Einzelnen, ob er dieses Album haben muss. Zur Einführung in Paulys Werk empfehle ich dennoch Frameshift, denn dort finden sich auch alle hier enthaltenen Elemente, bloß noch besser.
Punkte: 9/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 17.01.2008
Juan Roos
Henning Pauly
ProgRock Records
79:59
2005