Diese Doppel-CD dokumentiert das bisherige Schaffen von Neuraxis aus Montreal in Form von Imagery (1999), A Passage Into Forlorn (2000) und dem 2002er Album Truth Beyond... sowie zwei Bonustracks. Quantitativ schon eine imposante Werkschau, schauen wir auf die Güte des Dargebotenen.
CD 1 bietet die neuesten Aufnahmen der Kanadier; sie bewegen sich auf dem Terrain ihrer Landsmänner Cryptopsy, sind jedoch nicht so frickelig (dazu fehlt auch der Wahnsinnsschlagzeuger) und wesentlich melodischer. Ian Campbell grunzt allerdings vergleichbar grottig-ausdruckslos, vor allem in den schleppenden Passagen. Eine weitere Gemeinsamkeit mit der heimischen Speerspitze des Extrem-Death sind sich in Akustikpassagen äußernde jazzige Fragmente - allerdings nur marginal, denn Meister dieser Materie hören sich im Todeskontext anders an (hört auf, dahergelaufene Combos inflationär mit Cynic und Atheist zu vergleichen!).
Gut tun dem Albumfluss ruhige Intermezzi, auch innerhalb der Stücke. So ist etwa die Idee originell, sanft Gezupftes wiederholt von harschem Gekotze zerstören zu lassen („Impulse“). „Neurasthenic“ ist ein superkurzer Grind-Brecher und eine rohe Ausnahme im verfeinerten Stil der Gruppe. Mehr Reiz haben nämlich die ausgearbeiteten Melodien ob ihrer Unterschwelligkeit - kein klebriges Schwedengehacke, sondern etwas subtiler eingesetzt, was auch die gute Produktion begünstigt. Sollte dieses Album als momentane Standortbestimmung gelten, ist für Neuraxis noch einiges drin. Textlich hebt man sich mit Futuristischem und Psychologischen wohltuend vom Genre-Einerlei ab, zeigt sich also deutlich als Nachbar von VoiVod. Anspieltipp sei der titelgebende Rausschmeißer, der mit einem waschechten Guitar-Hero-Solo aufwartet. Der Trend scheint insgesamt fort vom Blastbeat zu gehen - feine Sache...
Imagery, der die zweite Scheibe einleitende Zyklus hält da noch nicht mit. Das „Plong“ der Snare nervt ein wenig, und die Vocals sind lachhaft, ähnlich Deicide und frühen Dying Fetus mit dem comichaften Wechsel zwischen Schreien und abgrundtiefem Gegurgel - kaum zu glauben, dass auch hier wert auf die Lyrics gelegt wird. Zusammen mit den simpleren Strukturen und dennoch melodischen Einsprengseln wirkt das irgendwie schizophren; „Atmospheric Holocaust“ ist ein mit Bedacht komponiertes Instrumentalgeschoss, und „A Drift...“ bringt die Wandergitarre gar vor Meeresrauschen zum klingen, nur um im stumpfen Abschluß „The Drop“ jede Feingliedrigkeit in weniger als einer Minute erneut zu zerstören.
So gelangt man schließlich zum Mittelwerk A Passage..., welches das verspielteste und abwechslungsreichste Material bietet. „Unite“ und „Virtuosity“ sind verhältnismäßig melodiös; gerade letzteres Stück besticht durch einen tollen Aufbau - tatsächlich gibt es noch Extrembands, die Spannung erzeugen können...mehr davon? - Bitte, „Link“ erzielt durch seine simple Tappingmelodie und ein altgeschultes Solo seine Wirkung, und auch das kurze Outro „Forlorn...“ spricht des Rezensenten Harmonieseligkeit an. Der Bonus „In Silence“ entstand noch vor A Passage... und gibt Aussicht auf mögliche Stimmvariation (klarer Sprechgesang) für die Zukunft, was aber noch nicht ganz gelungen ist. Die Fähigkeit, das recht komplexe Material auch auf die Bühne zu bringen zeigt endlich „...Of Divinity“.
FAZIT: Was für ein Trip für die sowieso geplagten Ohren! Die Trefferquote bleibt über die mehr als anderthalb Stunden nicht gleich hoch, doch vor allem die Stücke neueren Datums machen Neuraxis zu einem Kandidaten für weitere Großtaten. Das Spektrum extremen Metals wird weit ausgereizt, so dass diese Zusammenstellung ein Pflichtprogramm für den anspruchsvolleren Deather ist. Es darf gerne noch eine Schippe draufgelegt werden...
Punkte: 9/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 02.02.2008
Yan Thiel
Ian Campbell
Steven Henry, Robin Milley
Alexandre Erlan
Earache
102:37
2005