Diese Vier haben schon einige Veröffentlichungen seit 1992 auf dem Kerbholz und legen jetzt ein Konzeptalbum der anderen Art vor, indem jeder ihrer teils überlangen vier neuen Songs ein in sich geschlossenes Thema behandelt. „The Joy Gem“ ist ebenso wie „Stolen By Ghosts“ textlich spirituell geprägt und setzt sich mit menschlichem Verhalten auseinander. Im Booklet stellt man auch Parallelen des kreativen Schaffensprozesses zur Geburt eines Menschen her – alte Hasen haben eben einen differenzierten Blick auf die Realität und beschäftigen sich nicht mit schwammigen Fantasiegeschichten. Auch Songtext drei zeigt dies; offenbar skizziert Schreiber Dearing hier einen persönlichen Verlust. Wenn man im Infoblatt erfährt, dass „The Future Me“ sich mit den Ambivalenzen eines zeitgenössischen Popstars beschäftigt, bleibt man ratlos – die lyrischen Ergüsse sind so allgemein formuliert, dass sie vage deutbar sind...doch wen kümmert ein Popper, wenn er klassischen (ich weiß...) Prog haben kann?
Der Einstieg erfolgt Songwriter-gemäß mit Piano und langsam dazukommender sparsamer Instrumentierung. Die lange Existenz der Band entlarvt kein kommerzielles Interesse, wenn sie den Spock beim Barte packt; es ist durchaus legitim, Neal Morse als Gastsänger beitragen zu lassen – man entstammt schließlich der gleichen Generation neuerer US-Progbands. Morse ist die Eröffnung auf den Leib geschneidert, der „Lalala“-Refrain gefällt dem Beatles-Verehrer und wird dem Hörer just dann zu bunt, wenn Keyboards an Dominanz gewinnen und die charakteristisch-effektbeladene Geige David Ragsdales aufspielt, der bekanntlich immer wieder auf den Veröffentlichungen des Labels auftaucht. Indessen bleibt der Gesang aus, bis der anfängliche Status Quo wieder hergestellt ist und sich zur ruhigen Instrumentierung vibraphonartige Klänge gesellen. Wieder Morse, „Lalala“ - und schon ist die Viertelstunde um. Nett, leicht poppig und für den weiteren Verlauf richtungsweisend.
„Stolen By Ghosts“ greift die Ruhe auf, gibt der akustischen Gitarre Freiraum, bevor der Session-Flötist Jeff Eacho vor nervösen Drums dem Ganzen einen britischen Folk-Touch einbläst. Gerade aufgebaut, bricht die Virtuosität im Unisono Gitarre/Flöte wieder zusammen; bei erneutem Stimmeinsatz wird es basisch in Rhythmus und Arrangement. Lärm von Kinderstimmen beendet das Stück; die Philosophie von Transparenz im Sound dürfte spätestens jetzt klar sein.
Niemals überladen ist dann auch das dritte Stück innerhalb seiner 21 Minuten. Salem Hill lassen sich Zeit beim Aufbau, wie zuvor zunächst mit Piano und Stimmen. Die Rhythmussektion bekommt mit Fretlessbass eine neue Farbe. Der unvermeidbare Instrumentalpart kommt vorwiegend mit Synthesizern aus – übrigens gesteht die Gruppe verzerrten Gitarren generell wenig Raum ein – und verläuft sich in der bisher nicht derart präsenten Melancholie des nächsten konventionellen Liedteils; hier zollt man dem nachdenklichen Text Tribut. Die letzte Hälfte gipfelt in einem improvisiert anmutenden Schlagabtausch zwischen Bass, Orgel und Violine: energetisch und trotzdem hochmelodisch verbleibt man, und der Hörer erwartet den obligatorischen Schnitt, welcher die Aufwallung mit Stimmeinsatz wieder herunterbremst – dieses Mal jedoch bleibt die Dynamik auf hohem Level, und so geht der Sänger (die Mitglieder singen alle, und ihre Stimmen sind kaum unterscheidbar) aus sich heraus in höhere Lagen und fast aggressive Rauheit. Ein Fade-In überlappt den Abklang diese Abweichung von Salem Hills Kompositionsschema. Ein Phil-Collins- artiger Radio-Stimmeffekt zieht den Schlussstrich.
Das Ende startet ausnahmsweise hektisch mit Keyboards und akustischer Gitarre; erstere führen ein im Folgenden wiederholt aufgegriffenes Motiv ein, das im Bunde mit Waber-Gitarren eine Space-Atmosphäre erzeugt. Auch der Bass darf einmal das Melodie-Mandat übernehmen. Nach plötzlichem Stop variiert das Hauptthema, diesmal vorgetragen von Piano und Gesang. Das Stück ist das ereignisreichste der Platte und rundet sie deshalb gut ab.
Die Aufmachung ist eher schlicht, aber zumindest zweckmäßig mit allen nötigen Informationen. Die Harmony-Vocals der Musiker sind erstklassig, werden aber nie in Sixties-Manier voll ausgereizt. Salem Hill sind in ihrem Metier sehr auf Akzeptanz bedacht; der Vorwurf der Berechenbarkeit, den auch Spock’s-Beard-Kitiker anbringen, greift auch hier: die Wechsel zwischen Songwriter-Ambiente und dichteren Instrumentalteilen innerhalb eines Stückes sind kalkuliert.
FAZIT: Weniger Brüchigkeit würde der Originalität zu Gute kommen. Ungeachtet dessen bietet „Mimi’s Magic Moment“ nicht überraschenden, aber Spaß machenden gemäßigten Prog. Der Ideenreichtum ist den Szeneführern nicht ebenbürtig, zündende Melodien aber zu Genüge. Nicht nur durch die Violine haben Salem Hill einen eigenen Charakter; zwingend ist dieser aber vornehmlich für Genre Hardliner – den Hörercrossover von Morse und co. Können sie sicher nicht erreichen.
Punkte: 9/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 27.01.2008
Patrick Henry
Kevin Thomas, Carl Groves, Patrick Henry, Michael Dearing
Carl Groves, Michael Dearing
Carl Groves, Michael Dearing
Kevin Thomas
ProgRock Records
62:41
2005