Bärte, Pelzkragen, Matten und Sehhilfen – nicht nur optisch regieren bei den Norwegern die frühen Siebziger. Allein das Tastenarsenal Froislies nimmt aufgelistet eine halbe Bookletseite in Anspruch. Dass hier nichts ist mit Effektsimulation und Digitalequipment garantiert einen angemessen altmodischen Sound, dem es an moderner Ausdifferenziertheit und Druck aber nicht fehlt.
Der dreißigminütige Titelgeber nach der Intro-„Serenade“ (die sollte eigentlich einem beliebigen Jahr der glorreichen Dekade gewidmet sein) führt per Mellotron in eine ELP-Abfahrt ein, bevor die warme Stimme Liedstruktur herstellt, welche von Pianokaskaden und sanften Chören veredelt wird. Die Band schaukelt sich gleichmäßig hoch, feuert am Gipfel einen Weltraumsynthesizer ins All und kehrt zum fast kompletten Stillstand auf die Erde zurück. Anschwellendes Rauschen, die Akustische und leise Harmoniegesänge bereiten auf süß-zerrende Leads und dann vordergründige, kanonische Gentle-Giant-Vokalpassagen vor. Auch nicht gerade 1652 ist der folgende Klassikgitarren-Teil datiert – eher schon im Mittelalter, wie die unvermeidliche Flöte und Spinettklänge bestätigen. Härter ist dagegen der von einem Schrei eingeleitete schleppende Part mit Doom-Riff und zischendem Synthie in den Händen eines Emerson-Eleven: dieser gluckst, variiert die Lautstärke und ist manchmal nur im Vorbeihuschen hörbar; der Bass behält das Riff bei. Die Ablöse vollzieht sich durch kurze Schnelligkeitsausbrüche in Gestalt eines early-Yes-Gitarrenpickings. Zehn Minuten vor Ende sinkt der Song in sich zusammen, nimmt einen langen Anlauf zum Finale: Motivvariationen von zuvor Gehörtem sind vernehmbar, die Flöte tönt nun beschwörend im Verbund mit den Tastenklängen, und nach der halben Restzeit färbt die akustische Gitarre das Epos noch mit neuen Nuancen. Altbewährt dagegen sind das düstere Riff und der endlich wieder einsetzende Gesang in selber Melodielinie. Der virtuose Pfeifer platzt schließlich in eine Orgel-Orgie, wirft schnelle Tonfolgen immer wieder dem Bassisten vor sein Zerrpedal – und das war nur der erste Song...
Der zweite, wenngleich ebenfalls nicht unter einem Dutzend Minuten, richtet sich eher nach strophischen Mustern. Härte tritt hier stärker hervor, und die Stimme trägt ebenso eingängige Melodien vor wie die Leads der analogen Kästen – sozusagen der Hit und Anspielempfehlung des Albums zum Sich-Einfühlen. Gut, dass diese fast-Viertelstunde den bisher zusammengeschraubten Rahmen nicht verlässt, man müsste dem Detailreichtum und der spielerische Güte der Norweger mittels eines Romans gerecht werden. Auffällig erweist sich hier noch die Tendenz des Sängers zu Gillan-artigen Schreien; trotz erneut fettester Klampfenteppiche werden Wobbler aber nie rockig-straight.
Gänzlich instrumental hält sich der Abschluss, scheinbar versöhnlich nach so aufrührerischer Kreativität, doch auch hier schenken die Norweger dem Hörer keine Fahrstuhlmucke, denn die Spannungsbögen sind so straff wie kaum zuvor. Ausklingend wie begonnen schließt sich ein weiter Kreis um ein einfallsreiches Album.
Prinzipiell sind Wobbler Anachronisten, die nichst Neues machen, aber Altes derart konsequent und erfrischend aufbereiten, dass man den Hut ziehen muss – ähnlich wie etwa vor den Nachbarn von Witchcraft, die den Ur-Sabbath-Rock zelebrieren. Hiermit setzen Wobbler ein Ausrufezeichen zwischen sehr verspielteren Landberk, Anglagard oder Anekdoten sowie ernsteren, puristischen Flower Kings ohne Fusionkomponente.
FAZIT: Konkurrenzlos, technisch hochwertig interpretieren Wobbler die Ikonen, statt sie zu zitieren. Rock wird groß geschrieben, epische Breite und Detailfreude scheinen dennoch keine Grenzen zu kennen. Pflicht für die Fraktion early King Crimson und Yes, härtere Camel oder auch früher Italoprog. Fünf Jahre Entstehungszeit hört man dem Album an – wo gibt es so was heute noch?
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 01.02.2008
Kristian Karl Hultgren
Tony Johannessen
Morten Andreas Eriksen
Lars Fredrik Froislie
Martin Nordrum Kneppen
Kristian Karl Hultgren (sax)
The Laser’s Edge
56:51
2005