In den letzten Monaten ging der stimmlich ewig junge Poet den Weg zurück, nach dem sich seine ehemaligen Kollegen längst nicht mehr umdrehen. Nach der Best-Of-Retrospektive betritt Fish nun zum Jubiläum erneut das Kinderzimmer, das er einst zur solistischen Emanzipation verlassen hat. Den Altanhängern kann es nur recht sein, wenn der Schotte den Marillion-Klassiker "Misplaced Childhood" in einigen Konzerten in seiner Ganzheit auf die Bühnen zurückbringt. Informationen zu den Beteiligten und dem Aufnahmeort kann ich nicht geben; die Stücke sind vielleicht auch auf mehrere Konzerten zusammengeschnitten worden.
"Peitsche und Zuckerbrot" könnte man die Vorgehensweise nennen: der Großteil des Publikums dürfte aus Nostalgikern bestehen, die zunächst Material aus Fishs Post-Marillion-Karriere erdulden müssen. Die Reaktionen sind dennoch euphorisch, denn schlecht ist dieser Stoff bekanntlich keineswegs. Dabei konzentriert sich die Auswahl zunächst auf die rockigen und eingängigen Stücke, die live wenn nicht roher, so doch organischer klingen als die teils aufwändigen Studioproduktionen, denn opulente Bläser beispielsweise werden nicht aufgefahren, dafür aber Backgroundchöre. Weibliche Unterstützung setzt dem dynamischen "Goldfish and Clowns" die Haube auf und gewinnt in Folge noch an Gewicht. Das Stück läutet in der Mitte dieses ersten Sets den Stimmungswechsel zu ruhigeren Songs ein.
Gegen Ende von CD 1 lässt sich der Sänger auch zu knapper Kommunikation mit den Anwesenden hinreißen und fährt gleichzeitig die Energie wieder hoch: "Innocent Party", "Long Cold Day" und "Credo" folgen Schlag auf Schlag. Die Gitarrenabteilung darf ausgiebig solieren, wo sie ansonsten wie die Rhythmusgruppe dem Hauptakteur unauffällig den Vortritt lässt; die Keyboards nehmen gleichwohl eine wichtige Rolle ein, doch der Liveklang ist insgesamt voll und warmtönend. Im letzten Stück singt das Publikum mit, sich offenbar auf den Hauptgang des abendlichen Menüs freuend. Während Madame Antwortspielchen mit der Menge betreibt stellt der Chef seine Angestellten vor. Nur von den Drums begleitet verhallt das "Credo" im Hallenrund.
"Misplaced Childhood" nimmt CD2 ein. Die Stimmung beim einführenden "Pseudo Silk Kimono" scheint andächtig, und beim Konsenshit "Kayleigh" zeigt die Band sich linientreu zum Original, auch wenn Bass und Drums live logischerweise engagierter aufspielen und der Hintergrundchor die Textdarbietung zusätzlich anfettet. Das Publikum dankt mit enthusiastischem Klatschen und singt ab "Lavender" verstärkt mit. "Heart of Lothian" kommt im ersten Teil mit reichlich Power durch die P.A., wird zum "Curtain Call" aber dem Albumursprung gemäß melancholisch. "Waterhole" kommt bedrohlich wie 1985. Der "Blind Curve"-Epos ist Höhepunkt und Kernstück. In seinem Spannungsaufbau ist es entgegen seiner Länge perfekt für ein Konzert geeignet, und in Fishs gefühlvollem Vortrag zeigt sich seine Überzeugtheit bei der Sache - Eigener Genuss und Fanbefriedigung dürften sich bei der Umsetzung der Idee die Waage gehalten haben. Aufgrund der ineinander übergehenden Teile des Konzeptes verzeiht man die ungewohnte Wortkargheit.
"Childhood´s End" steigert die Stimmung, "White Feather" tänzelt mit Flötenklängen einher bis zum Höhepunkt im Trommelfeuer und umjubelter Danksagung von der Bühne. Als Zugaben sind die Hits "Incommunicado", "Market Square Heroes" und "Fugazi" teils vorhersehbar, teils überraschend, vor allem mit Hinblick auf die heftige Interpretation der ursprünglich doch sehr poppigen Ausrichtung.
FAZIT: Auch wen man sich über Fishs Veröffentlichungspolitik von Livealben streiten mag, macht diese Wiederaufführung Sinn, denn sie profitiert von der Bühnensituation. Ein kopflastiges Konzept, an dem man sich im Original eventuell schon sattgehört hat, bekommt so neues Leben, zumal der Achtziger-Studiosound im Vergleich hier eindeutig den Kürzeren zieht. Nette Vergangenheitsaufarbeitung, der sich die einstigen Mitinitiatoren nach wie vor konsequent verweigern.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 01.02.2008
Lineup unbekannt
Snapper / SPV
124:52
2006