Ungeachtet der Probleme bei der Produktion von “Viva Emptiness” – Dan Swanö musste wegen verhunzten Drumsounds nachträglich einige Schlagzeugkomponenten Beat für Beat von Hand (!) sampeln – war es ein solides Album, das allerdings nicht einhellig euphorisch aufgenommen wurde: vom ursprüngliche Stil hatte man sich ohnehin längst verabschiedet, doch auch die ruhige Traurigkeit der mittleren bis späten Neunziger ist einer weiteren Modifikation gewichen. „The Great Cold Distance“ zeugt ebenfalls von dieser Entwicklung, greift den Stil des Vorgängers auf und steht mit seinem Titel symptomatisch für die bandeigene Aura der Unnahbarkeit.
Renske ist in „Leaders“ traurig bis verzweifelt, doch man fühlt nicht mit ihm. „Blackheim“ Nysröm und Norman pfeffern ihm im unauffälligen Chorus heavy Riffs um die Ohren, die im Verbund mit der Rhythmusgruppe Schlangebeschwörung in der Art moderner US-Progressivrocker betreiben. Ein harscher Schrei (wie in eröffnenden „City of Glass“ auf dem Vorgänger) leitet die Strophen ein, welche ruhig bleiben; in der ebenfalls leisen Bridge hört man die mittlerweile typischen, unspannenden Drumloops. Auf diese verzichtet auch „Deliberation“ nicht, wenngleich es dem unspektakulären Opener bei gleichbleibenden Stilmitteln überlegen ist. Der Gesang ist weniger lethargisch, der eingängige Refrain rechtfertigt das Hart-Zart-Schema. „Soil’s Song“ vermag dies noch zu übertreffen, da eine ausgetüftelte Rhythmik die fantasielos bratenden Ein-Ton-Riffs etwas auffängt; die gegenläufige Beckenfigur lässt aufhorchen, der Fade-Out in eine nichtssagende Synth-Fläche dagegen nicht. Beruhigend bis hierhin: Die ausgewiesene Abneigung der Komponisten gegen Schönklang bleibt unvermindert. Hässlich-wohlige Disharmonien und kratzig-klirrende Akkorde geben den konventionellen Rocksong-Strukturen Schneid, erinnern an die schwarzen Wurzeln der Gruppe.
Natürlich sind Gestus und Kontext heute andere – offensichtlich vor allem durch die Abkehr von Raserei hin zu nur unterschwellig melodiöser, eher rhythmischer Musik „My Twin“ als Singleauskopplung tönt in diesem Sinne: Wavige Gitarren, Keyboard-dominierte Strophen mit gelegentlich verzerrten Einwürfen, welche auf den kalkulierten Chorus vorbereiten. Am Gitarrensound lässt sich einmal mehr festmachen, welchen Einfluss Tool auf (ehemalige) Metalbands haben. Renskes Stimme verharrt indes spröde, nivelliert die potentiell Spannung erzeugende Bridge. Ähnlich „Consternation“ – von Beginn an zwar heftig, jedoch in den reduzierten Strophen und im Refrain nicht zündend. Auch auf dem letzten Album fiel schon die klangliche Nähe zu den beiden EPs der Australier Vauxdvihl auf: damals wegen des Effekts auf der Snaredrum, heuer in Melodieführung und Stimmverfremdung des Sängers.
Der „Follower“ bewegt sich unsteten Schrittes, zwar in Achteln trippelnd, aber auf von Drums und Bass hinterhältig zum wackeln gebrachtem Fundament. Der Chorus allerdings stampft die rhythmische Verschleppung im 4/4-Takt wieder ein: Gelungen obwohl (oder weil?) zerfahren. Fast gut wären auch die folgenden zwei Stücke, käme nicht erneut die Schemenhaftigkeit von harten Stakkatos und Stille unterfütternden (aber nicht nährenden) Loops zum Vorschein. Immer wenn Katatonia ihr Soundkorsett zeitgemäß tieferlegen, schnüren sie es enger und nehmen ihm dadurch genau die Tiefe. „July“ ist wohl das beste Stücke der Scheibe, da Renske sein unflexibles Organ variabler einsetzt, und auch die Instrumentalabteilung kreativer agiert: Sachte Arpeggien und bedächtige Leads ersetzen erfolgreich sowohl den stereotypen Härtehammer als auch die effektbeladene Akkordpalette – der Metal scheint durch, wenn das Instrumentenspiel konkret wird, statt auf Ambiente zu setzen und Klangfarben zu generieren... leider selten bis gar nicht.
„The Itch“ nennt den Albumtitel im Text und bleibt ohne Effekt mit effektbeladenen Vocals und abgenutztem Laut-Leise-Spiel; auch das Fade-out zeugt von Einfallslosigkeit. Der Abschluss gestaltet sich getragen und versöhnt nur wenig. Wird die Plattenfirma der Band gerecht, wenn sie störende Voice-Overs zur legitimen Verhinderung der vorzeitigen Internetpräsenz des Albums über Strophen und ruhige Passagen legt? – Dadurch wird die Band auf die Refrains beschränkt und etwaig ausgefeiltes Songwriting verdrängt; zumal wenige der Refrains wirklich überzeugen...
FAZIT: Katatonia stagnieren. Dem Fan der letzten Scheibe bieten sie schlechtere Variationen vom Altbekannten, dem Neuling zumindest melancholischen, modernen Rock, der allenfalls streckenweise und noch durch den nach wie vor individuellen Bandsound – Stimme und Sprödigkeit - für sich einnimmt.
Punkte: 8/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 01.02.2008
Mattias Norman
Jonas Renske
Anders Nyström, Fred Norman
Daniel Liljekvist
Peaceville / SPV
51:51
2006