“Destruction…death to all”, skandiert das Intro passend zum quengelnden Kleinkind vor Chorstimmen, und diese Leitmotive zelebriert die schwedische Kultband gut eine Stunde lang – ein riskantes Unterfangen, urtypischen skandinavischen Death derart lange auszuwalzen, doch Necrophobic haben die Mittel zum erfolgreichen Experiment an der Hand.
Was unverzerrt mit Windrauschen beginnt, wandelt sich zur schnellen Einführung in die musikalische Ästhetisierung des Todes – nur Wenige verstehen es, die „letzten Dinge“ des Menschen so zu vertonen wie Necrophobic. Der Tod ist unerbittlich, schlägt aber bekanntlich nicht mit dem Beil, sondern filigran mit der Sense zu; so auch hier – melodiös, aber nicht süßlich, hart, aber nicht stumpf. Die Leads und Soli sind geschmackssicher platziert und mit Verstand komponiert, und Sidegard als sich verständlich äußernder Araya-Liiva-Stimmbruder krönt den Triumph des Schnitters, indem er niemals zum schreienden Anhängsel einer instrumentalen Lärmkulisse wird. Statt direkt in die Vollen zu gehen, lässt die Gruppe sich Zeit beim Songaufbau. So schwebt eine monotone Melodie über dem gemächlichen Rhythmus am Anfang von „I Strike with Wrath“, bevor das Schlagzeug nach einem Break in den Doublebassmodus gleitet. Die Strophen sind im Blast gehalten, die Bridge wieder gebremster, und nie bleiben diese Muster in ihrer Wiederholung identisch – hier und dort jaulen einzelne Töne auf, im kontrollierten Soloausbruch fährt die Rhythmusgitarre den Lautstärkeregler deutlich zurück. Das Stück findet sich an seinem Ausgangspunkt wieder, ehe es im Piano-Outro verhallt. Bedacht kündigt sich auch der „Eternal Winter“ an und weht schließlich als hektischer Thrash-Sturm mit schneller Solo bis zur Brücke, auf der Frauenstimmen klagen. Sie werden wahrgenommen, aber nicht erlöst – kurzem Einhalten schließt sich eine zerrfreie Melodie mit gefühlvollem Soloausklingen an.
Dynamik ist ein erreichbares Ziel, in das „Age of Chaos“ ebenso erfolgreich einläuft – langsam und schwerfällig zunächst, mit bösem Gesang und Engelschor im Hintergrund, dann verbissen im leidenschaftlich vorgetragenen Chorus. Auf ängstliches Schluchzen folgt ein Schrei, doch statt Raserei der Gang zum Friedhof im Requiem-Schritt. Damit die Grabeserde auch kleben bleibt, setzt der Refrain den Schlusspunkt.
„Bloodshed Eyes“ feiert die fast vermisste Ballerei wieder, wandelt sich aber zum rhythmisch akzentuierteren Pre-Chorus, der seine Auflösung erst nach der zweiten Strophe erfährt. Ein Männerchor hält einen einzigen Vokal zum Aufbau der Spannung und hebt diese schließlich mittels Textvortrag auf, während die Gitarre soliert. Die letzte Strophe schließt den Kreis.
Um Konditionsgrenzen wissend, verlangsamt die Gruppe zum letzten Albumdrittel ihren Marsch ein wenig. Das stoische Riff von „Death Immaculate“, noch vom Trommelfeuer angeheizt, weicht dann dem Midtempo und einem gesprochenen Teil mit hintergründigem Dämonengrummeln. „The Crossing“ ist ebenfalls noch schnell, setzt aber schon im Refrain auf Hymnik und überraschende Tempowechsel innerhalb der Solosektion. „Sithra Ahra“ ist endlich durchweg zäh, akustisch sowohl die Einleitung als auch ein Solo. Das Lied ist ganz auf seinen stampfenden, zum Faustrecken animierenden Chorus ausgerichtet.
Behutsam ziehen Necrophobic die Geschwindigkeit wieder an - erst im Solo des zehnten Songs und dort zwar abrupt, aber ohne Seitenstechen zu verursachen. Mit nervösen Melodien läuft „Black Hate“ die letzten Meter verbissen, so dass Necrophobic mit dem Titelsong locker – wieder kurz akustisch und mit Sprechpassage – zum Siegertreppchen joggen können.
Haben Dismember kürzlich einen roh belassenes Klumpen siechen Fleisches abgeworfen, so liefern Necrophobic nun einen fein, aber gleichsam kompromisslos filettierten Happen von doppelter Größe. Freunde solcher Nahrung für die schwarze Seele kommen an beiden dieses Jahr kaum vorbei.
FAZIT: Mit endlich ausgewogener Produktion liefert die Legende des Schweden-Death ihr bisheriges Meisterstück ab – fesselnder über die volle Distanz als manche um Abwechslung bemühte Prog-Kapelle, emotionaler und aggressiver als Emo- oder Aggro-Metal...und tödlich im Wortsinn des Genres.
Punkte: 10/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 01.02.2008
Tobias Sidegärd
Tobias Sidegärd
Sebastian Ramstedt, Johan Bergebäck
Joakim Sterner
Regain/Soulfood
59:10
2006