Diese finnischen Chartbreaker sind trotz ihrer Erfolge auch hierzulande - über die ich im Vorwege zu diesem Review nachlesen konnte - bisher tatsächlich an mir vorbeigegangen. Die Hörprobe ihres bei uns erfolgreichsten Hits "The Moment Of Our Love" liefert eine mögliche Erklärung: falls dieser (oder eine andere Singleauskopplung) mir mal untergekommen sein sollte, könnte ich ihn vorschnell als einen der vielen HIM-und-Co.-Songs eingestuft haben. Es kann aber auch am Cover des letzten Albums "Sweet & Deceitful" gelegen haben, das mich mit der Attitüde "jungfräuliche Gothic-Groupies gesucht" ähnlich anspricht, wie das der Landsmänner von SOULRELIC. Dass der Sechser zuletzt gemeinsam mit (natürlich) HIM und THE RASMUS auf Tour war, ist ein weiterer Anhaltspunkt.
Abgesehen von dem Hinweis, dass die Band härter geworden ist, stößt man im Infoblatt überraschenderweise auf den Begriff "Glamrock", während das andere, in Finnland so beliebte "G-Wort" dort vermieden wird. Outfit und Gestik haben sich die Bengels dann auch tatsächlich mehr bei AEROSMITH und vor allem GUNS ´N ROSES, statt von ihrem Kumpel Ville abgeschaut.
Die musikalische Wahrheit liegt, wie so oft, wohl irgendwo in der Mitte - oder vielleicht auch ganz woanders.
Der erste Eindruck ihres jetzt dritten Albums fällt nach den ersten Songs dann auch erst mal überraschend aus. "Glory Of The Shame" und auch "One Last Shot" sind rasante Rocker fast mit Rotzfaktor und klingen ganz und gar nicht nach Kleine-Mädchen-Musik. Diese werden später mit "Fading Yourself" und der ersten Singleauskopplung "Planet Of The Sun" (bereits auf Platz 1 in Finnland) zwar auch bedient, aber triefend, wie bei der Ballade "A Song For The Broken Hearted", wird es zum Glück eher selten. Parallelen zur Valo-Band kann man auch bei diesen Songs, wenn überhaupt, am ehesten noch durch den Sänger ausmachen.
Wenn auch keinen wirklichen Glam- oder Sleazerock, hat "Anorectic" noch weitere gute Rocksongs zu bieten, die mich ein ums andere Mal ("Stop F*ckin´ Around", "Sinners Night/MistyMorning") an Bands wie die STAGE DOLLS erinnern und bei denen ich der Band abnehme, dass dort die Musikerseele die Antriebsfeder war, nicht das Chart-Kalkül. Trotz kurzem, misstrauischen Seitenblick aufs Bandfoto: Diese Songs rocken und machen Laune.
Letztendlich klingt hier also manches erwachsener, als die Jungs optisch vermitteln. Wenn man die Plüschdecke hochnimmt, kann man darunter erkennen, dass es sich bei der Band nicht bloß um einen konstruierten Newcomer handelt. Immerhin steht ja auch das zehnjährige Bandjubiläum schon kurz bevor. Andererseits - wenn ich mir die Namen der Musiker so ansehe...
FAZIT: Obwohl hier durch die Umstände einiges auf die weibliche (wirtschaftlich wichtige) Taschengeldfraktion als Haupt-Zielgruppe hindeutet, haben die Finnen bei genauerer Betrachtung tatsächlich mehr zu bieten, als nur trendgesteuerten Fast-Food-Rock. Zwischen diversen Hitanwärtern verstecken sich auf "Anorectic" tatsächlich einige ernstzunehmende Rockperlen.
Punkte: 8/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 01.02.2008
Jonne Aaron
Larry Love, Sir Christus
Snack
Jay
Roadrunner Records
57:15
2006