Was haben folgende bekannten Musiker gemeinsam: Glenn Hughes, Cozy Powell, Don Airey, Neil Murray, Brian May, Mel Galley, John Wetton, Ray Gillen, Scott Gorham, Michael Sturgis, Keith Murell, Kyoji Yamamoto? Richtig, alle waren mal auf einem PHENOMENA-Album zu hören.
Ich war Mitte bis Ende der 80er ein brennender Verehrer des von Tom Galley ins Leben gerufenen Projekts, das damals für einiges Aufsehen sorgte und dessen Hintergrundstory kurz vor der Verfilmung stand. Auf allen drei bisherigen Versionen gab es große Namen der Hardrockszene zu bestaunen, aber vor allem der erste Teil ist nicht nur für mich eine der genialsten Melodic-Rock-Scheiben, die je herausgebracht wurden. Songs wie “Believe”, “Dance With The Devil” oder “Kiss Of Fire” landen daher bei mir auch heute noch immer wieder mal auf einem zusammengestellten Melodic-Sampler.
Den beiden wesentlich polierteren Nachfolgern, die ein noch größeres Publikum ansprechen sollten, fehlten dann zwar die brillante Tiefe und das Konzept des Referenzwerkes, waren aber immer noch sehr gute Rockalben.
Fast 15 Jahre nach dem letzten richtigen Lebenszeichen “Inner Vision” - vor ca. zehn Jahren kamen noch zwei Best-Of-Alben auf den Markt - hat Macher Tom Galley PHENOMENA jetzt also in die vierte Runde geschickt. Und wie erwartet hat er auch dieses Mal wieder illustre Namen um sich geschart, vor allem was die Sängerfraktion betrifft. Neben Neueinsteiger Tony Martin (u. a. BLACK SABBATH) und Veteran Keith Murrell (MAMA´S BOYS) ist es dann vor allem Glenn Hughes (u. a. DEEP PURPLE), dessen Name im Booklet mich strahlen lässt - ohne das Aushängeschild der ersten Scheibe hätte eine Wiederkehr nach so langer Pause keinen Sinn gemacht.
Anfangs war ich dann aber erst einmal überrascht, fast erschrocken, als beim Opener “Sunrise” ungewohnt harte Gitarren und ein wuchtiges Schlagzeug aus den Boxen dröhnen. Und auch das folgende “Touch My Life” ist moderner Hardrock, den ich nicht unbedingt erwartet hätte.
Trotzdem, mit den ersten Tönen von Glenn Hughes ist das alte Feeling fast wieder da. Es werden dann auch tatsächlich die von ihm gesungenen Songs sein, die hier die PHENOMENA-Fahne hochhalten.
Mit “Killing For A Thrill” wird es dann sogar noch moderner als zu Beginn, und der Gesang geht fast in Richtung Rap, wechselt sich dann aber mit melodisch-relaxtem Refrain ab. Ein sehr guter, abwechslungsreicher Song, der bei manchem alten Fan aber auf Ablehnung stoßen könnte.
“So Near So Far”, eine Fast-Ballade, ist dann der erste deutliche PHENOMENA-Song, der perfekt auf dem zweiten Album hätte stehen können. Feinster AOR also.
Das von Tony Martin gesungene “Chemical High” ist das schwächste Stück der Scheibe und nervt etwas mit seinem sich ständig wiederholenden Refrain.
Das treibende “Higher”, auf dem wieder Hughes zu hören ist, weiß danach sofort zu versöhnen und überrascht mit leicht abgefahrenen Keyboards im Mittelteil und einer in Richtung Metal marschierenden Gitarre.
Mit “60 Seconds” folgt ein Hammersong mit weiblichen Gesang und ausgefeiltem Songaufbau, der sogar für Fans von AYREON interessant sein könnte.
Danach heißt es wieder Scheuklappen ablegen. Das mit spacigen Anfang heranrauschende “Crazy Groove“, das im Refrain seinem Namen alle Ehre macht, ist einer der abgefahrensten PHENOMENA-Tracks überhaupt und wiederum Geschmackssache.
Das nachdenkliche “How Do You Feel” hätte nicht nur wegen des Gesangs von Glenn Hughes auf ein DEEP PURPLE-Album gepasst und auch die beiden Abschlusssongs sind wieder sehr rockig gehalten - Tony Martin hat hier mit “God Forgives“ das letzte Wort.
Nach dem ersten Hören wird jeder PHENOMENA-Fan erstmal heftig zu schlucken haben, bekommt er hier doch nicht unbedingt das geboten, was er erwartet hat. Eine gewisse Toleranz braucht es schon, um “Psycho Fantasy” als viertes PHENOMENA-Kind zu akzeptieren. Hat man den ersten Schock aber erstmal überwunden, bekommt man hier ein modernes Hardrockalbum serviert, bei dem die bekannten Trademarks letztlich doch nicht zu kurz kommen.
FAZIT: Die für mich gelungene Fortsetzung könnte für manche früheren Fans, die sich selbst ausschließlich dem AOR-Lager zurechnen, teilweise zu modern bzw. zu hart klingen. Dafür ist “Psycho Fantasy” aber noch interessanter für Anhänger von DEEP PURPLE und BLACK SABBATH (der Tony Martin-Ära) geworden. Auch wenn mir hier nicht alles gefällt, gibt es unterm Strich ein erfreuliches Wiederhören mit alten Helden, die es geschafft haben, durch neue Ideen und mit modernen Mitteln eine fast vergessene Erfolgsgeschichte weiterzuschreiben und in die heutige Zeit zu retten.
Punkte: 10/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 01.02.2008
Richard Lymn
Glenn Hughes, Tony Martin, Keith Murrell, Lee Small, Matt Morton, Joy Strachan
Mel Galley, Andy Shortland, J.J. Marsh
Ian Rowlands, Tom Brown
Orlin Radinsky
Rumen Boyadgiev (strings)
AOR Heaven/Escape Music
47:08
2006