PICTORIAL WAND ist das Projekt eines gewissen Mattis Sörum aus Norwegen, der das gesamte Album im Alleingang komponiert hat. Gitarren und Keys hat er selbst eingespielt, ansonsten verläßt er sich auf das Mitwirken von mehr als 15 verschiedenen Sängern und Musikern, die ihre Arbeit ausschließlich hochkarätig verrichten. Da werden unweigerlich Assoziationen zu AYREON wach, doch zelebrieren PICTORIAL WAND kein derartiges „Namedropping“ wie die musikalischen Nachbarn aus den Niederlanden.
Wie es sich für eine Prog Doppel-CD gehört, handelt es sich bei „A Sleeper´s Awakening“ um ein Konzeptalbum. Es geht um eine Person, die nach einem langen Blick in den Spiegel aufwacht und sich seiner Fehler bewußt wird, die sie ihr ganzen Leben gemacht wird, all die Abzweigungen sieht, an denen der falsche Weg gewählt wurde. Das ganze soll symbolisch aufgearbeitet werden, warum die Handlung allerdings in eine mittelalterliche Welt verlegt werden mußte, ist mir zum Zeitpunkt des Reviews noch nicht offenbar …
Los geht´s mit dem „Prologue“: Sanfte Flötentöne und mittelalterlich anmutende Saiteninstrumente führen behutsam in die Handlung ein. Dann Donnergrollen, wir nähern uns einer mittelalterlichen Stadt und hören die Bevölkerung stöhnen unter dem Joch ihres Herrschers. Ein Erzähler intoniert dunkle Worte. So gut und passend manch gesprochene Passage im Allgemeinen wirken mag: Der recht starke Akzent der Sprecher versaut leider jegliche Atmosphäre, so daß ein Weglassen des Gesprochenen dem Album gut getan hätte. Aber egal, es befindet sich immerhin noch mehr als genug Musik auf den beiden CDs.
Die mittelalterliche Grundstimmung wird im nächsten Stück beibehalten, ein paar Streicher verleihen dem Klangbild eine beinahe elegische Komponente. Doch bevor PICTORIAL WAND sich in falsche Genre-Schubladen pressen lassen, zaubert Herr Sörum ein ordentliches Heavy Riff aus dem Hut. Im Hintergrund tummeln sich weiter Streicher und dezent orchestrale Keyboards. Der symphonische Anstrich von „A Sleeper´s Awakening“ wird weiterhin durch die Vielzahl von cleanen, hochmelodischen Gitarrensoli unterstrichen.
Die Gesangsparts gestalten sich abwechslungsreich – die Riege an Sängerinnen und Sängern ist sorgfältig ausgesucht, keine Schreihälse und Tonhöhenrekordler nerven oder lenken von der Mannigfaltigkeit schöner, oftmals in Variationen wiederkehrenden Melodien ab.
Instrumental wird nicht dauernd Vollgas gegeben, es bleibt genug Raum für akustische Intermezzi und Atmosphäre fördernde Soundscapes. Natürlich gibt es jede Menge Instrumentales zu bestaunen, vor allem die Gitarre steigert sich ein ums andere Mal beinahe ekstatisch zu leidenschaftlichen Höhenflügen, während breite Synthie-Unterlagen teilweise AYREON-typische Sci-Fi Atmosphäre aufkommen lassen. Dabei wird das gesamte Spektrum vom typischen „Into The Electric Castle“ Sound bis hin zum pompöseren „The Human Equation“ Gesangs-Overkill ausgelotet.
Daß PICTORIAL WAND nicht zu jedem Zeitpunkt eigenständig klingen, ist kein Beinbruch, denn die Norweger brauchen sich nicht hinter den großen Namen des symphonischen Progs zu verstecken. Und genügend Originäres befindet sich immer noch auf diesem Album, vor allem was Melodieführung und Dramaturgie angeht.
Leider haftet „A Sleeper´s Awakening“ ein Makel an, um den kaum ein Doppelalbum herumkommt: Eine Spielzeit von beinahe 120 Minuten ist einfach zu lang, die Spannung kann einfach nicht über so eine lange Zeit aufrecht erhalten werden. Im hinteren Drittel von CD Numero zwei befinden sich jede Menge dramatische Paukenschläge und man denkt „puh, geschafft, das war ein würdiger Abschluß“ - und dann geht es doch noch weiter. Wieder und wieder. Teile des Album wirken ein wenig künstlich gestreckt. Und auch wenn dieser Satz mittlerweile als üble Phrase angesehen werden müßte: Weniger wäre mehr gewesen.
FAZIT: Alles in allem eine schöne Neuentdeckung und eine echte Bereicherung im Sortiment des kleinen, feinen kanadischen Labels „Unicorn Digital“. Symphonischer Prog Rock, mit einem hohen Melodieverständnis dargeboten; ein bißchen Retro, ein bißchen mittelalterlich und trotz vieler Instrumentalpassagen nie vom Ruch der instrumentalen Selbstbefriedung behaftet. Beim nächsten Mal entweder die gesprochenen Passagen weglassen oder professionelle Sprecher anheuern – und die Spielzeit um eine halbe Stunde verkürzen, um eine höhere musikalische Dichte zu erzielen.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 01.02.2008
Idar Eidsaune
Petter Selliseth, Ingrid Strid, Lise Granden Berg, Gry Tronslien, Eva Marianne Olsson, Stian Leknes
Mattis Sörum
Mattis Sörum, Paal Selsjord Björseth, Staale Storlökken
Tomas di Sansimone
Unicorn Digital
119:30
2006