Das einzig Ungewöhnliche an RECKLESS TIDE ist der doppelt besetzte Gesangsposten. Die Musik ist Thrash Metal der amerikanischen Sorte, orientiert sich allerdings nicht gänzlich bis in die Urzeiten des Genres zurück.
Overkill hatten vor allem zu Zeiten von Joe Comeau eine ähnliche Herangehensweise and die Vocals wie die Hannoveraner. „Vicious Circle stellt neben den beiden aggressiven Stimmen auch einen knarzigen Bass vor, der aber nicht D.D. Vernis Maultrommel-Penetranz hat. Die Band beschränkt sich im typischen Geschwindigkeits- und Rhythmusbereich auf das Wesentliche mit simplen Leads, einem kurzen Solo und genügend Energie, die von der Produktion profitiert – fett vor allem im Schlagzeugbereich. Testament klingen ebenfalls gelegentlich an (eine der Stimmen), doch nicht wie zu erwarten in „The Preacher“. Als Jeff Waters bei Annihilator auch den Gesang übernahm, schrieb er ähnliche Stücke mit Drum-Bass-Strophen für einen fast gesprochenem Textvortrag. Bei RECKESS TIDE kommen ein bluesiger Chorus und ein flotter Abgehpart hinzu. Waters gastiert übrigens auf dieser Scheibe – er könnte eines der Soli in „Corrupted“ übernommen haben, obwohl die hektische Gitarrenarbeit des Fun-Tracks „Kleemähendeäbte“ noch deutlicher auf ihn verweist. Dieser Song drückt mit Trinkermelodien, jäh abgebrochenen Popsong-Versatzstücken zu Beginn und Zimmer’s-Hole-artigem Geknüppel offenbar nordischen Humor aus, den man nicht zwingend teilen muss.
Die melodische Seite steht der Band an sich nicht schlecht. „Evolution“ etwa gewinnt durch seinen eingängigen Refrain und die traditionsmetallischen Harmony-Gitarren. Andererseits erscheint die Gruppe mit dem sehr gemäßigten „Extestosterone“ und beinahe Power-Metal-Gesten wenig konsequent, was ihre Absicht angeht: der durchweg auf Tempo und positive Aggression ausgerichtete Sound verliert dadurch an Intensität, denn eigentlich sind die sechs Musiker in diesem Metier am besten.
Als weitere Spaßbremse entpuppt sich der schwache Schluss des Albums, zumal die Stücke generell straffer arrangiert sein könnten. Die Ideen sind nicht so brillant, die Riffs nicht so neu, als dass man sie mitunter über fünf Minuten auswalzen müsste.
FAZIT: Gute „undeutsche“ Thrash-Scheibe mit gutem Sound, Schmackes und den bekannten Kinderkrankheiten: Verlust der Kompaktheit, sobald der dreschende Pfad ein wenig verbreitert wird und die Band die Richtung geradeaus verliert.
Punkte: 9/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 30.01.2008
Henning Pfeiffer
Andrew Troth, Kjell Hallgreen
Oliver Jaath, Susanne Swillus
Kai Swillus
Armageddon/Soulfood
50:24
2006