Liebe Leute – Hier haben wir die erste Band, die PAIN OF SALVATION mehr als offensichtlich nacheifert. Vergleiche mit früheren Erzeugnissen der jungen Griechen kann ich nicht ziehen, da diese bei Sleaszy Rider erschienen sind – einem Label, dessen Output für gewöhnlich zu meiden ist. Wenn WASTEFALL schon immer so hochwertige Musik gespielt haben, waren sie zweifellos das Glanzlicht der Firma; bei Sensory sind sie nun bestens aufgehoben.
Wie gesagt: Daniel Gildenlöw in nahezu jedem Takt... Papaemmanouil hat das Falsett und die Lautmalerei des Schweden verinnerlicht und singt mit ebensoviel Leidenschaft. Dabei ist seine Stimme angemessen in Szene gesetzt; vor allem in den stillen Momenten hört man ihn Schlucken und Atmen, was den musikalischen Ritt nur noch intensiver gestaltet.. Dieser ist jedoch heftiger als die Werke der Vordenker, wiederum aber vom Klangbild her deutlich daran angelehnt (trockener Distortion-Sound, näselnder Fretless-Bass).
Dritter Referenzpunkt ist schließlich das Kompositionsverständnis: „Willow Man“ führt die rhythmisch abgehobene Spielweise des progressiven Metal großartig vor, nicht ohne rasende Gitarrenläufe und gegenläufige Drums. Metal ist hier in der Tat keine Floskel, denn manche Thrashband könnte von der hier vorgestellten, niemals kalten Härte lernen. Doublebass-Parts sind auch Bestandlteil von „The Muzzle Affection“, doch die Strophen sind ruhiger, und der Pianoeinsatz entzieht sich den üblichen Verwendungsschemata. Alles geht bei WASTEFALL - Shouts und Dissonanzen auf der einen, das Zwiegespräch mit einer Gastsängerin auf der anderen Seite. Dabei bleibt der Song als solcher erkenn- und nachvollziehbar.
Klassikgitarren und perkussives Schlagzeugspiel ziehen in „A Dance Of Descent“ mit ähnlich Auswürfen von „Be“ hinsichtlich ihrer Stimmung gleich. Dabei schimmert allerdings die südländische Herkunft des Quintetts durch. Mitunter ist das Stück wirbelnd-hektisch, doch der flüssige Gesangsvortrag nivelliert dies; ohnehin klang Virtuosität auf aktuellen Releases selten lockerer und unaufgesetzt.
Ein Hinweis auf die Produktion von Tommy Hansen sei noch gegeben. Derart modern und dennoch stilvoll ausgeleuchtete Ecken und Kanten bringt man mit seiner Arbeit für überwiegend traditionelle Metalbands kaum in Verbindung. Doch die Detailnischen, welche WASTEFALL in ihr Klangebäude einfügen, sind im klassischen Heavy-Metier auch nicht an der Tagesordnung. Als Beispiel für die tolle Inszenierung nenne ich hier den Soundwall in „Another Empty Haven“, der die Schichtung der Instrumentalspuren ebenso ohne Erdrückung hörbar macht wie die reduzierten Strophenteile. Der Ideenreichtum der Band hingegen ist mit dem kurzen, unerwartet jazzrockigen Solo sowie davor einem halsbrecherischen Übergang in rhythmisch verschlepptes Stakkato belegt. Hier wird erstaunliche Energie freigesetzt, trotz des düsteren Ausblicks, den die Scheibe generell stimmungsmäßig wagt. Dies kommt in „Strife For Definition“ stark zum Tragen, wo der weibliche Gesang wieder aufgegriffen wird und die Quirligkeit aussetzt zu Gunsten meditativer Strukturen – etwa in den flächigen Keyboards und motivischen Bassmelodien. Nur das folgende Stück überbietet die Melancholie und gestaltet abgründige Trauer mit Loops und Streichern zur Metal-freien Zone; am Ende fängt die Sängerin an zu schluchzen und zu weinen - So hart an der Grenze zu überdosierter Sentimentalität wandeln PAIN OF SALVATION bekanntlich auch zuweilen.
WASTEFALL umschiffen die Kitsch-Klippen im nächsten Stück aber und treiben den Schmalzdämon mit drückendem Riffing, Shredding-Fills sowie bisweilen regelrechtem Speedmetal-Drumming aus. Breaks und Stimmungswechsel erfolgen innerhalb von Sekunden, und der Chorus bleibt haften – wieder schweifen die Gedanken gen Skandinavien...
Im Endspurt gibt die Gruppe sich technisch gezügelter, was die Eingängigkeit von „Utopia Fragmented“ noch anhebt und „4 Minutes To Abandon“ weniger par force, aber nicht wie Ausschussmaterial erscheinen lässt. Abschied nehmen WASTEFALL mit dominanten Celli und einer sich langsam auftürmenden Soundmauer, an deren Zinnen mit Radio-Effekt belegte Vocals ambivalent in die Zukunft blicken – die der Band dürfte sich aber durchweg positiv gestalten, denn sie hat eine starke, kompakte wie ausladende Platte eingespielt.
Die Griechen kopieren PAIN OF SALVATION nicht, sie adaptieren deren Sound jedoch akribisch und führen ihn in einer handfesteren Richtung fort, wo die letzten Taten der Vorbilder weitschweifig und kopflastig waren.
FAZIT: Pflicht-CD in Sachen Progmetal 2006 und für Pain-Of-Salvation-Fans sowieso; bei zunehmender Originalität fiele die Wertung höher aus – ein kleiner Fleck auf diesem emotionalen, an Ambition fast überbordenden Bild.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 01.02.2008
NickValetzis
Domenik Papaemmanouil
Alex Katsiyannis
Christos Kyrkilis
Kostis Papaleksopoulos
Sensory/Alive
51:10
2006