Hat eigentlich irgendwer Herrn JOHN LEES schon einmal mitgeteilt, dass sein gegenwärtiger Gesang live eine mittlere Katastrophe ist? Übrigens wollte ich dies schon seit Ewigkeiten immer mal kundtun, spätestens seitdem ich vor Jahren BARCLAY JAMES HARVEST in Dresden erleben durfte (oder besser musste). Zu diesem Zeitpunkt war der Bandtechniker sogar verzweifelt bemüht, das im Hintergrund ablaufende Playback lauter auszuregeln als LEES´ Mikro. Leider war diesem Versuch nur ein mittelmäßiger Erfolg beschert. Gleiches gilt übrigens auch für die andere BJH-Inkarnation unter LES HOLROYD.
Und genau diese Erinnerungen werden bei mir wieder während des Hörens von „Legacy“ geweckt. Schade eigentlich, denn viel lieber wäre ich an die faszinierende Live-CD des Jahres 1982 erinnert worden, als BARCLAY JAMES HARVEST, noch nicht in eine Lees- und eine Holroyd-Variante aufgesplittet, in Berlin vorm Reichstag auftraten und dies auf dem gleichnamigen Album verewigten. Ein Konzert („für die Menschen“), das Geschichte schrieb, schon deshalb, weil die Lautsprecher in Westberlin auch so gedreht worden waren, dass die „Mauer-Gäste“ im Osten der Stadt unter erheblichen Gefahren sowie Stasi-Beobachtung mitlauschen konnten. Diese Zeiten sind längst vorbei – aus historischer Sicht zum Glück, aus musikalischer Sicht für BJH leider.
Obwohl vom besagten Konzert mit „Mockingbird“, „Hymn“ & „Child Of The Universe“ sich noch drei Titel auf „Legacy“ verirrt haben, hat die Live-Atmosphäre, die von dieser Altherren-Kapelle vermittelt wird, nichts mehr mit der großartigen Vergangenheit zu tun. Und so sind nicht nur 24 Jahre ins Land gezogen, sondern auch deutliche Verfallserscheinungen, die man da im Jahre 2006 im Londoner Sheperd´s Bush Empire zu hören bekommt.
Düstere „Valhalla“-Keyboardsounds eröffnen das Konzert, „For No One“ verbreitet bis zum ersten Lees-Sangeston eine relativ typische BJH-Aura, während spätestens mit „Child Of The Universe“ das wahre Manko des Konzerts offengelegt wird: der Gesang. Lees Stimme klingt dünn, oft schief und hält nur selten die Töne richtig. Und da BARCLAY JAMES HARVEST schon immer vom vielfältigen und beeindruckenden Gesang gelebt hat, fällt diese Tatsache jetzt besonders schwer ins Gewicht. Leider reißt auch WOOLLY WOLSTENHOLME diesbezüglich nicht sonderlich viel raus, auch wenn seine Stimme bei „The Iron Maiden“ deutlich besser als Lees Sangeskünste klingt. Das typische Keyboard- und Mellotron-Spiel von ihm sind dagegen über jeden Verdacht erhaben.
Auch wenn die Konzerte wohl, wie im Booklet zu lesen ist, ausverkauft waren, kann man beim Hören dieser Liveaufnahme nur folgendes feststellen: Am Sonntag, dem 5. November 2006, gab BJH unter JOHN LEES im Londoner Sheperd´s Bush Empire nach 14 Jahren ein Konzert nicht der Superlative, sondern höchstens der durchwachsenen Mittelklasse, das sich, an besonderen Höhepunkten arm, dahinschleppte. Übrigens gibt es von diesem Konzert auch eine DVD, die neben dem gesamten Konzertmitschnitt zusätzlich Backstagematerial und Aufnahmen aus dem Jahre 2006 enthält.
BJH erinnerte sich musikalisch an vergangene Zeiten, ohne diese auch nur zu irgendeinem Zeitpunkt wirklich wiederbeleben zu können. Nun sind sie mit JOHN LEES zurück, aber haben wir wirklich darauf gewartet? Rest In Peace – BJH!
FAZIT: JOHN LEES´ BARCLAY JAMES HARVEST hinterlassen mit diesem Album keine sonderlich wertvolle „Erbschaft“, sondern vielmehr den Eindruck, dass ihre besten Zeiten nicht nur längst vorbei sind, sondern schon wegen dem schwächelnden Gesang auch nie wiederkehren werden.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 02.02.2008
Craig Fletcher
John Lees, Woolly Wolstenholme, Craig Fletcher
John Lees
Woolly Wolstenholme, Michael Bramwell, Mike Bramwell
Kevin Whitehead
J.J. Lees (Cornet)
Cherry Red / Rough Trade
77:43
2007