In der Literatur gibt es ein Phänomen, für das es einen ganz speziellen Namen gibt. Hinter diesem Phänomen verbergen sich recht geheimnisvolle epische Texte, die eine düstere, aber zugleich faszinierende Ausstrahlung besitzen und die auf geheimnisvolle, fast beängstigende Weise die Psyche des Lesers ansprechen und ihn in ihren Bann ziehen. Und hinter diesem Phänomen versteckt sich der Name eines, besonders durch den Einfluss seines Vaters psychisch stark angeknacksten Autors, der mithilfe seiner Texte so eine Art Selbstanalyse & -heilung betrieb. Diese und ähnliche Szenarien bezeichnet man als KAFKAesk!
Für die Musik gilt Ähnliches unter den gänzlich gleichen Aspekten. Dieses Phänomen trägt allerdings den in diesem Sinne abgewandelten Namen eines der größten, verrücktesten, abgefahrensten und leider viel zu früh von diesem Planeten abgetretenen Musiker der Moderne: ZAPPAesk!
Und damit wären wir auch schon bei den noch sehr jungen, retroprogressiven Schweden BEARDFISH. Und was soll ich hier noch groß drum herum schreiben – auch wenn die Jungs nicht unbedingt genauso wie ZAPPA klingen, so trifft auf sie das Phänomen ZAPPAesk
durchaus zu!
Meine erste Begegnung mit RIKARD SJÖBLOM begann mit so einer Art Missverständnis. Es hieß BOOTCUT „De Fluff“ (Die Rezi zu diesem Album könnt ihr auf unserer Seite lesen!) und ist aus meiner Sicht ein grottenschlechtes Album. Das habe ich dann auch irgendwie in meiner Kritik zum Ausdruck gebracht, was zur Folge hatte, dass mich RIKARD SJÖBLOM per Mail kontaktierte, um mir mitzuteilen, dass er sehr traurig über meinen Verriss ist, ihn aber selbstverständlich akzeptiert. Dabei verwies er mich sofort auf seine Band BEARDFISH, da er glaubte, dass mir diese Musik wohl mehr zusagen würde. Er glaubte genau richtig.
Also zog ich mir aus dem Netz erst einmal ein paar Titel der BARTFISCHE, wie „A Love Story“, „Igloo On Two“, „Mudhill“ oder „The Gooberville Ballroom Dancer“. Und ich war sofort beeindruckt über diese progressive Mixtur voller Erinnerungen an die frühen 70er Jahre. Doch plötzlich überkam mich ein Verdacht: BEARD? (Hat das etwa was mit dem Barte des SPOCKS zu tun?) und FISH? (Hat das etwa was mit dem riesenhaften Ex-Sänger von MARILLION zu tun, bis er durch ein etwas weinerlicheres FIS-Stimmchen abgelöst wurde, das sich in seinem Namen aber genau von diesen drei Buchstaben getrennt hatte?) Dieser Verdacht ist nämlich, wenn man die von Mal zu Mal faszinierender klingende Musik der Skandinavier hört, durchaus gerechtfertigt. Also schnelle eine weitere Mail an den sangesfreudigen Multiinstrumentalisten geschrieben und diesbezüglich nachgefragt – und eine eindeutige Antwort erhalten: NEIN! Schade eigentlich … und ich war mir doch soooo sicher.
Trotzdem sollte für „Sleeping In Traffic: Part One“ gelten, dass Musikliebhaber, die mit den beiden (Band-)Namen, die sich aus meiner Sicht hinter BEARDFISH verstecken, was anfangen können, unbedingt (!!!) diesem Album mindestens ein Ohr widmen sollten. Außerdem ist diese verrückte, oftmals recht ironisch anmutende Musik, die nicht nur eine (sondern viel, viel mehr) Überraschung(en) bereithält, jederzeit gut dazu, beim Hören Erinnerungen zu wecken, allerdings niemals genauso zu klingen, wie das, woran man sich gerade erinnert fühlt.
Da denke ich also beim ersten (richtigen, demnach also 2.) Titel „Sunrise“ gleich einmal ganz kurz an AIR und schwups, schon klingt der Titel wieder ganz anders. Die Schweden machen nämlich selbst vor wild-experimentellen Klängen nicht halt – und erst der den Titel abschließende, ekstatische Schrei, der so perfekt zu dem abgefahrenen Song passt, löst den verblüfften Hörer aus seiner Verwunderung. So muss es wohl klingen, wenn man im Verkehr einschläft und auf brutale Art und Weise aufgeweckt wird. Überhaupt: „Schlafen im Verkehr – Teil 1“, da bin ich doch schon verdammt gespannt auf den 2. Teil. Heißt der dann vielleicht sogar „Schlafen BEIM Verkehr“? Oijoijoi – wie wird wohl der Schrei klingen, wenn man dabei unsanft geweckt wird?
„Afternoon Conversation“ wiederum erklingt nach der Auferstehung zweier Toter: Mal ein bisschen JEFF BUCKLEY, mal etwas mehr KEVIN GILBERT – und so geht es bei diesen Zottelbartfischen ständig hin und her. Und nicht nur das, es macht auch einen verdammten Spaß, in diesem musikalischen Labyrinth nicht etwa nach einem Ausweg, sondern nach dem nächsten Abzweig zu suchen. Und jeder dieser neuen Wege hat einen neuen Namen: ZAPPA vielleicht oder YES oder GENESIS oder sogar GENTLE GIANT & ein ganz bisschen BEATLES. Das Besondere an allen Titeln ist aber, dass hier niemals versucht wird, auf Kosten der oftmals wundervollen Melodien, verschiedene bombastische Ausflüge zu unternehmen, die mit ihren fetten Sounds all das zukleistern, was man in so beeindruckender Klarheit erklingen ließ. Stattdessen begibt man sich durchaus auch mal auf jazzige Wege, die etwas von BRAND X haben.
Ein Titel entwickelt so nach dem andern sein völlig eigenständiges musikalisches Gesicht, das mal lächelt, mal verzerrt ist, mal weint, mal droht, mal grient, mal schreit – aber dabei immer verschmitzt blinzelt. Ja, dieses Gesicht ist eben nicht glatt und starrt einen aus leeren, kalten Augen an. Und das könnte zur Gefahr werden … zumindest zur Gefahr aus wirtschaftlicher Sicht, in der sich Erfolg von Verkaufszahlen, aber nicht Qualität abhängig macht. Darum habe ich schon jetzt, hoffentlich völlig zu unrecht (!!!), das ungute Gefühl, dass diese jungen, musikalisch so temperamentvollen Schweden bei InsideOut das gleiche Schicksal erwartet wie die ebenso hervorragende Band CARPTREE. Doch hoffentlich male ich in dieser Beziehung nur den Teufel an die Wand und er wird niemals in den IO-Etagen erscheinen. Und vielleicht hält sich dann ein BARTFISCH viel länger im Wasser als der (baumstarke) KARPFEN, den man viel zu schnell aus dem Wasser zog, das immer mehr nach wirtschaftlicher Gülle als nach musikalischer Klarheit stinkt. Zu wünschen wäre es den jungen Schweden jedenfalls!
FAZIT: Hier zitiere ich einfach mal den Promozettel, weil ich ihn hundertprozentig so unterschreibe: „BEARDFISH stehen für mitreißende Musik, die als Ganzes gesehen durch ungewöhnliche Gesangsmelodien, spannende Folkmomente, vor allem aber Homogenität überzeugt, gänzlich ohne Bombast auskommt und einfach nur Spaß macht. Endlich wieder wirklich originelle Verfechter für den Progrock und seine Fans!“
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 01.02.2008
Robert Hansen
Rikard Sjöblom
Rikard Sjöblom, David Zackrisson
Rikard Sjöblom
Magnus Östgren
Rikard Sjöblom (Akkordeon, Percussion)
InsideOut
65:57
2007