Kortikale Tektonik… wenn sich da mal nicht die Schollen im Gehirn verschieben. Selbst Erdbeben können feinfühlig erscheinen, wenn man von einer der originellsten Instrumentaltruppen härterer Gangart spricht. CANVAS SOLARIS haben nicht nur abgefahrene Songtitel - der Inhalt wird den Namen gerecht, ohne ungenießbar zu sein.
Solch schlüssige Kompositionskunst hört man im gesangsfreien Bereich selten – auch, weil diese Richtung schlechtes Songwriting oft mit Kunstanspruch entschuldet. Das haben die drei Amerikaner (nebst helfendem Pharaonen Matt Johnsen) nicht nötig; sie stellen keine elitären Ansprüche und geben ihre Metalwurzeln offen frei, auch wenn sie seit der letzten CD auf eine Liste der Inspirationen im Booklet verzichten. Von amerikanischen Nerd-Sounds a la Estradasphere bis hin zu konventionellem deutschen Alt-Thrash war dort alles vorhanden, und doch griff und greift nichts davon richtig. Simpkins und Sapp haben ihre eigene Gitarrensprache entwickelt, die klanglich und teils auch harmonisch eher von Iron Maiden bestimmt wird, als dass eindimensionales Riff-Rücken im Meshuggah-Stil ihr Ding wäre. Hunter Ginn beim Trommeln zuzuhören belohnt mit zahlreich entdeckten Nuancen und einer neuzeitlichem Metal uneigenen Dynamik, die man eher von alten Jazzern kennt. Um aber nicht missverstanden zu werden: CANVAS SOLARIS sind jederzeit als harte Band zu erkennen, weil sie konzeptionell Genrefremdes in den genreeigenen Sound einfügen und mit metallischem Geist umsetzen, so man in diesem Zusammenhang vom Klischee des „Metal-Spirit“ noch reden kann.
Neue Klangfarben sind durch stärkere Gewichtung der Synthesizer hinzugekommen, die von Analogorgel bis hin zum Weltraumzischen reichen. „Sinusoid Mirage“ macht dies nach dem eruptiven und bangerfreundlichen Opener klar. Die Gitarrenkomponente schwenkt nach einer Phase dominanter Tastensounds vom sauberen in Lead-reichen Zerrmodus um. Herkömmlicher Progmetal ist’s dennoch nicht – eher eine Reminiszenz an Gordian Knot mit mehr Balls, vornehmlich während „Interface“. Wer weiß, was ein „Gamma Knife“ ist, der mag sich vorstellen können, wie präzise die Band hier den Tumor schlechter Mucke aus dem Hörerhirn entfernt. „Rhizome“ zeichnet erstmals in der Bandgeschichte mit deutlichem Laut-Leise-Stift, ist aber unauffällig gegen den 17 Minuten langen Meistersong am Ende. Hier geben sich die drei Musiker überraschend ruhig und psychedelisch, über weite Strecken klanglich an New-Age (die Keyboards) angelehnt. Atmosphärisch gesehen hat „Reticular Consciousness“ etwas von der Berliner Elekronikschule, wenn man den nicht wegzudenkenden Metalfaktor dennoch versucht auszublenden. Statt krautiger Beliebigkeit anheimzufallen, zerrinnt hier aber die Struktur nicht; ohne stilistische Großüberraschungen begeistern CANVAS SOLARIS dennoch mit viel Unerwartetem, sind also keine Eklektiker, sondern Wortführer mit schlüssigem Satzbau – bloß ohne Worte.
FAZIT: So wissenschaftlich ihr Konzept auch angelegt ist, so anheimelnd und emotional greifbar wie kaum ein Instrumentaltrio agieren CANVAS SOLARIS. Diese Musik spricht in der Tat und benötigt keine Menschenstimme, ist jedoch von Menschen gemacht, die den Metal verinnerlicht und weitergedacht haben, um mit fremdgängerischer Erfahrung ihr Herzensgenre zu erneuern. Neulinge checken den Vorgänger „Penumbra Diffuse“, der eingängiger ist.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 31.01.2008
Benn Simpkins
Benn Simpkins, Nathan Sapp
Hunter Ginn, Benn Simpkins, Nathan Sapp
Hunter Ginn
Hunter Ginn (perc)
Sensory/Alive
46:03
2007