„Hallo, gnädiger Herr! Sie sehen so gut aus und auch Ihre Stimme ist wundervoll – zwar schon etwas gealtert, aber dafür in Ehre ergraut. Gestatten Sie mir, dass ich mich vorstelle? Ich heiße KANSAS, bin auch nicht mehr all zu jung, und würde verdammt gerne mit Ihnen in das musikalische Bett gehen. Was halten Sie von meinem verwegenen Vorschlag?“
„YES“ – und damit wäre schon alles gesagt! Nein, nein … so einfach kann man es sich wohl doch nicht machen.
Allerdings können wir in diesem hohen Alter wohl keine heiße musikalische Nacht mehr erwarten. Das Feuer aus dem „Heart Of The Sunrise“ ist verloschen, selbst wenn man durch die großen „Gates Of Delirium“ geht, wird man am Ende wohl nur im „Shadowland“ auf dem „ChronomeTREE“ landen und dort die musikalischen Blätter zählen. Allerdings bekommen sie diesmal wohl auf dem SALEM HILL, der am liebsten der Mount Everest wäre, durch den „Dust In The Wind“ eine stellenweise neue Streicher-und-Sanges-Klang-Farbe! Das klingt gut, sieht gut aus, ist gut, aber nicht neu.
Genauso wenig wie das schon ziemlich ausgelatschte textliche Konzept, ein Album für/über die Opfer unter den Mount-Everest-Besteigern zu verarbeiten, die nichts anderes als ein Haufen von waghalsigen Größenwahnsinnigen sind. Vor allem wenn einige der Gipfelstürmer wortwörtlich behaupten: „Es gibt Zeiten, in denen man buchstäblich über eine Leiche zum Gipfel aufsteigen muss.“ (Dan Mazur – Bergsteiger, der den Mount Everest bezwang, wobei allerdings zwei seiner Freunde auf der Strecke blieben.) Wer das nicht zu glauben vermag, sollte von Christoph Ransmayr einfach mal „Der fliegende Berg“ (Vergleicht dazu ruhig das Interview auf dieser Seite mit SIEGES EVEN!) lesen, aber das ist schon wieder eine ganz andere (literarische) Baustelle.
STEVE BABB zumindest sah im vergangenen Jahr auf dem „Discover Channel“ eine Serie, die den Namen „Everest – Beyond The Limit“ trug und in der es um eben diese Bergsteiger ging, die ihr Leben aufs Spiel setzen, um irgendwann aus extremer Höhe, vom höchsten Berg der Welt also, festzustellen, dass sie in dieser Arschkälte nichts sehen außer ein paar vernebelter Wolken … dafür kann man durchaus schon mal sein Leben einsetzen. Danach las Steve von John Krakauer „Into Thin Air“, ein Buch, in dem es um die Everest-Bergsteiger-Tragödie des Jahres 1996 ging, bei der während des berüchtigten Schneesturms acht Alpinisten ihr Leben lassen mussten. Und nun, elf Jahre später, haben wir, die Hörer und Nichtbergsteiger bzw. bisher die Überlebenden jeder Bergbesteigung, den Soundtrack zum Buch vor uns liegen. Eine Buchmusik, die genauso beginnt wie sie endet: mit einem Atemzug, einmal wohl dem ersten vor der Bergbesteigung und knapp 70 Minuten später wohl der letzte, vertont in so epischen Worten wie „Even in your solitude I taste your breath. How is it that you don´t feel Me near?“
Da GLASS HAMMER wohl unweigerlich die moderne amerikanische Antwort auf die englischen Artrocker von YES ist, bot es sich sogar an, „Culture Of Ascent“ mit einer Coverversion ihrer Rock-Helden, deren Original auf „Fragile“ zu finden ist, zu beginnen. Doch das ist noch nicht alles! Für einige Stimmpassagen auf „South Side Of The Sky“ gewann man tatsächlich das Original JON ANDERSON, der dann zusätzlich, wenn er schon mal mit dabei ist, auch gleich auf „Life By Light“ hintergründig stimmlich mitwirkte. Als eine wirklich gute Idee erwies sich beim ersten Titel, dass der Gesang nicht wie im Original männlich ist, sondern von SUSIE BOGDANOWICZ übernommen wurde. Ansonsten passiert aber nicht sonderlich Neues auf der „südlichen Seite des Himmels“.
Neu dagegen ist, dass die Band ihren Sänger austauschte. Statt WALTER MOORE übernahm CARL GROVES von SALEM HILL das Mikro und meisterte seine Gesangsanteile auf überzeugende, fast zu Herzen gehende Weise. Und dass die Musik sicherlich bei dieser Thematik nicht sonderlich fröhlich klingen kann, ist wohl jedem klar.
Aber auch eine zweite Neuerung im „eisigen, musikalischen Kosmos der Mount-Everest-Opfer“ erweist sich als vollauf gelungen: der intensive Einsatz dreier Frauen, die allesamt unter dem Namen THE ADONIA STRING TRIO unterschiedliche Streichinstrumente (Violine, Cello & Viola) spielen. So erhält die Musik einen deutlichen Hang zu KANSAS und man fragt sich manchmal, warum die Band um Mr. Babb und Mr. Schendel sich als Cover-Version nicht „Point Of Know Return“ ausgesucht haben – na gut, KANSAS stehen ja auch stärker auf verunglückte Seefahrer als auf glücklose Bergsteiger.
Am Ende erwartet den Hörer ein etwas düsteres Album, das eine Art Verschmelzung von YES und KANSAS samt ausgezeichneter Gesangspassagen und sehr abwechslungsreicher, aber nie „explodierender“, so richtig aus sich heraus gehender Musik darstellt. Und nach 63 Minuten begleitet den bewegten Hörer „Rest“ in die hymnisch-himmlische Ruhe und zum letzten Atemzug eines verrückten Bergsteigers, der seinen größten Wunsch mit dem für ihn höchsten Preis bezahlen musste: seinem Leben.
FAZIT: Das 10. Album von GLASS HAMMER hält genau das, was die Jungs bereits seit „Shadowland“ und „Chronometree“ erfolgreich praktizieren: epischen Progressive Rock, der den „Mount Everest“ der Artrocklegende YES erklimmt und dabei glücklicherweise nicht abstürzt.
Punkte: 10/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 01.02.2008
Steve Babb
Carl Groves, Susie Bogdanowicz, Jon Anderson
David Wallimann, Fred Schendel, Eric Parker
Fred Schendel, Steve Babb
Matt Mendians
Rebecca James (Violin), Susan Whitacre (Viola), Rachel Beckham (Cello), Steve Babb (Harp, Programming), Fred Schendel (Programming)
Just For Kicks
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2007