Mr. Morses Produktivität ist mittlerweile bei drei Alben pro Jahr angekommen, fleißiges Kerlchen. Ob seine bibeltreuen „Worship Sessions“ allerdings für den normalen Prog-Konsumenten von Interesse sind, sei einfach mal dahingestellt. Daß der ehemalige SPOCK´S BEARD Chef mittlerweile religiös sehr, ähem, engagiert ist, dürfte den meisten mittlerweile aufgefallen sein – so ist es nicht verwunderlich, daß sich „Sola Scriptura“ mit Martin Luther und seinen 95 Thesen beschäftigt. Erstaunlicherweise gibt sich der Progpriester Morse dabei in Maßen kirchenkritisch; dennoch ist es empfehlenswert, die Texte zu überhören: Die inflationäre Benutzung von Worten wie „Jesus“, „salvation“, „heaven“ und „Lord“ führt sonst zu flächendeckendem Ausschlag auf Trommelfell und anderen empfindlichen Körperregionen.
Was passiert musikalisch? Am Bass betätigt sich mal wieder Randy George, das Schlagzeug bearbeitet Mike Portnoy und an der Gitarre zaubert, ganz neu, Paul Gilbert höchstselbst. Ein kleines All-Star-Projekt mal wieder – was es unverständlich macht, warum Gott dem Ex-Beard auch verboten haben soll, weiterhin bei TRANSATLANTIC zu musizieren. Gutes Stichwort: Nach TRANSATLANTIC klingt „Sola Scriptura“ nämlich – auch wenn endlich wieder härter drauflos gerockt wird. Die reichhaltigen Instrumentalpassagen gehen ab wie geölte Gummiküken (wobei sich Portnoy so richtig abreagieren darf), Morse und Gilbert duellieren sich leidenschaftlich, die akustische zaubert Flamencokaskaden, die Chorarrangements sind perfekt intoniert, strotzen vor Harmonie und die Keyboards lassen warme Klangfontänen sprudeln. Déjà Vu? Na klar. Das alles hat Mr. Morse schon circa 1000 Mal durchexerziert. Und jedes Mal mit beängstigender Perfektion. Mancher Prog Komponist würde diverse Körperteile opfern, dieses Gespür für Melodien und Arrangements sein eigen nennen zu dürfen, doch was nützt es, wenn am Ende ein Haufen kaum unterscheidbarer Alben übrig bleibt?
Also was bleibt zu sagen? „Sola Scriptura“ ist einen Deut härter und feuriger ausgefallen als das typische Morse Material der letzten Zeit (ab und an schimmern ein paar DREAM THEATER Bezüge durch). Die Ansicht, verzerrte Gitarren seien Teufelszeug, scheint der gute Neal also nicht zu vertreten. Für alles weitere sei auf die dutzendweise vorhandenen Reviews zu alten Alben verwiesen, die im Internet kursieren. Wirklich Neues gibt es nämlich nicht zu vermelden.
FAZIT: Langsam fällt es schwer, über neue NM-Alben zu befinden. Neueinsteiger (diese addieren bitte drei Punkte auf die Wertung) werden vom Hocker gerissen, denn derart stimmige, abwechslungsreiche, melodische und handwerklich perfekt gemachte Longtrack-Kost bekommt man selten geboten. Wer sich allerdings mit der SPOCK´S BEARD Discographie und den Solo Werken ihres Ex-Bandkopfs bereits zu Genüge auseinandergesetzt hat, wird ein wenig genervt die Augen gen Himmel verdrehen, dem Herr Morse gern so nah wäre. Die Möglichkeit zur Nähe bietet sich übrigens dem gläubigen Fan auf der Tournee: Die Konzerte finden allesamt in Kirchengemeinden statt, Gottesdienst inklusive…
Punkte: 9/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 02.02.2008
Randy George
Neal Morse
Paul Gilbert, Neal Morse
Neal Morse
Mike Portnoy
InsideOut
75:57
2007