Nach ihrem recht rockigen “Blood Sample” (2006) kriechen die finnischen Crossover-Pioniere WALTARI aus ihren blutigen Abgründen und werfen ein Album auf den Markt, das sich nicht nur durch einen sehr ungewöhnlichen Namen auszeichnet: „Release Date“ – irgendwie muss man schon einen gehörig an der Waffel haben, wenn man sein jüngstes musikalisches Baby so bezeichnet. Wenn wir demnächst Ähnliches in Natura versuchen, dann nennen wir unsere Kinder nur noch nach dem Geburtsdatum, der Uhrzeit und dem Ort – und schon ist man dieses schreckliche Problem auf der Suche nach einem passenden Namen für sein Allerliebstes los. Von den Finnen lernen, heißt nicht immer Siegen lernen, auch wenn ihre Bildungslandschaft unsere kleingeistige, deutschtümelnde Kleinstaaterei um Längen überragt.
Nach diesem kurzen bildungspolitischen Ausflug schnell wieder zum eigentlichen Thema: der Musik. Und die ist, wie bereits angekündigt, sehr merk- und gewöhnungsbedürftig. Eine ungewöhnliche Mixtur aus vorrangigen Death-Metal-Elementen trifft auf Melodic-Rock, Punk, Pop, Klassik und jede Menge experimentelle Klänge. Also bei diesen Finnen, die ja bekanntlich spinnen (Oder waren das etwa laut Asterix & Obelix die Römer?), wundert einen nach dem Hören solcher CD absolut gar nichts mehr.
Herzstück des „Veröffentlichungsdatums“ ist eindeutig das fünfteilige, 37 Minuten lange Opus Magnum „Cityshamaani“. Eine Anknüpfung oder Erinnerung an die guten alten Tage, in denen WALTARI mit ihrer Death-Metal-Oper „Yeah! Yeah! Die! Die!“ im Jahre 1996 noch für einiges Aufsehen sorgten. Dieses wird ihnen sicherlich auch über 10 Jahre später mit dem aktuellen metallischen Kunstwerk gelingen, da sein wichtigster Aspekt der totale Abwechslungsreichtum ist, der auch nicht vor ruhigen Tönen oder schönen Melodien bzw. stampfenden Rhythmen Halt macht. Natürlich blickt dabei das böse, oft sehr düstere Death-Metal-Monster ständig um die Ecke und meldet sich mit seinen Grunzlauten immer dann rechtzeitig, wenn die Gefahr besteht, in musikalisch eintönige Langatmigkeit abzurutschen oder darin zu versinken.
Und so tauchen in Waltaris neustem Musik-Mix manchmal sogar bisher von ihnen kaum gehörte Elemente, wie klassisches, an KEITH EMERSON erinnerndes Piano-Spiel, auf, das von einem rockigen Losgeher im Stile der früheren RED HOT CHILI PEPPERS abgelöst wird und am Ende sogar irgendein finnischer Damen-Sanges-Folk-Beat-Akt, der das Album abschließt, aber überhaupt nicht dazu passt. Was dieser Bonus-Titel bezwecken soll, wird wohl ein ewiges Band-Geheimnis bleiben. Natürlich kommt auch das Geschreie und Gegrunze nicht zu kurz. Besonders wenn es um den „Sex im Biergarten“ geht, verstärken sich dann diese animalischen Klänge. In dieser Beziehung stimmt dann die Waltari-Logik mit meiner wieder gänzlich überein.
Allerdings ist das nicht immer so. Und zwar immer in den Momenten, in welchen der Industrial-Sound zu sehr nach diesen schon 1000 mal gehörten 0-8-15-Schrei-Geschrammel-Orgien klingt. Na ja, bei der Vielfalt von „Release Date“ ist das durchaus verzeihlich – und man kann mit gespannter Vorfreude auf das Release Date von „Release Date“ warten.
FAZIT: „Release Date“ ist eine verrückte, finnische Mixtur aus den unterschiedlichsten Musikstilen, die vor kaum einer Grenze Halt machen und deren Basis sich auf der düsteren Seite des Metals befindet. Eine wahrhaft musikalische Überraschung alter finnischer Musik-Hasen, die sogar einige Peinlichkeiten selbstbewusst mit ins musikalische Spiel bringt.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 01.02.2008
Kärtsy Hatakka
Kärtsy Hatakka (Lead-Vocals), Jariot Lehtinen, Sami Yli-Sirniö
Jariot Lehtinen, Sami Yli-Sirniö
Kärtsy Hatakka
Ville Vehviläinen
Dockyard 1
70:55
2007