Wer kennt sie nicht, diese zollfreien Zonen über neutralen Fluggebieten, in denen man sich als Flugreisender mit Zigaretten, Alkohol und Parfum eindeckt? Gilt das neuerdings als musikalischer Überflieger auch für die Droge Musik, zollfrei und ohne Nebenwirkungen? D.F.A. (Duty Free Area) aus Italien scheinen dies bei der Eroberung Europas oder sogar der ganzen Welt zu glauben und werden wohl gehörig auf ihr musikalisches Näschen fallen – denn in Europa gibt es zwar bei Gerüchen und Delirien einen Trend zum Sparen, aber bei guter Musik leider nicht – hier müsste man nämlich bohlenerprobten DSDS-Scheißdreck zollfrei verkaufen … dann greifen erst die wahren Kulturbanausen zu, die ihre Geschmäcker nach dem Fernseher richten, der zum Glück seit Reich-Ranicki auch nicht mehr das ist, was er mal war. Trotzdem ist leider der musikalische Scheißdreck angesagt, aber nicht das, was wir als musikalische Kunst bezeichnen könnten – auch wenn uns das Cover von D.F.A. so ein gewisses Kandinsky (russischer Maler und Grafiker, der als „Erfinder“ der abstrakten Kunst gilt!)-Gefühl vermittelt. Ich fordere hiermit eine Bohlen-und-ähnliche-Gestalten-freie Kultur-Zone!
Mit der Musik verhält es sich tatsächlich genauso wie mit der zollfreien Ware. Die ganze Zeit denkt der Käufer, er hätte was Teures deutlich preiswerter erstanden – aber eigentlich hat er den Kram nur konsumiert, weil er günstiger war. Man hat, eingelullt von zollfreien Sonderangeboten, etwas gekauft, was man unter normalen Bedingungen wohl derzeit kaum noch kaufen würde.
Nur wer käme auf die Idee, auch mal eine CD, nur weil sie wirklich gute Musik enthält, für etwas weniger Geld zu kaufen … bei einer Stewardess, die mit ihrem Wägelchen nervend durch die Sitzreihen von Pauschalurlaubern oder Pauschalmusikhörern rollt? Also ich zumindest würde diesem (musikalischen) Frieden in himmlischen Höhen nicht trauen. Darum beschränken sich die Italiener wohl auch auf das Kürzel D.F.A. und klingen ihren italienischen Landsleuten, die statt dem Kürzel D.E.M. die Komplettvariante namens DEUS EX MACHINA verwenden, ziemlich ähnlich. Wer allerdings mit größtenteils instrumentalen Italo-Prog bisher noch nicht in Berührung gekommen ist, dem kann hier mit einer anderen, sehr ähnlichen Musikhausnummer geholfen werden: OZRIC TENTACLES und wenn’s absolut sein muss, auch CARAVAN, aber nur die frühe Variante, oder die späte GONG-Ausgabe unter PIERRE MOERLEN. Gerne nennt man solche Art von Musik auch neunmalklug Canterbury, womit wir auch was für die progressiven Musikwissenschaftler und Kategorisierungsfanatiker getan hätten. Schön, dass es so was gibt, das ist wie in der Schule: Canterbury-Schule, Berliner Schule, Hamburger Schule, Frankfurter Schule, Hauptschule … (K)Ossi-Schule.
Kann solche Vielfalt an stilistischen Klanglandschaften, vereinigt auf einer CD, gut gehen? Nicht immer, aber immer öfter (zumindest im zollfreien Territorium). Doch selbst wenn sich D.F.A. für ihr nunmehr drittes Studioalbum fast zehn Jahre Zeit gelassen haben, so gelingt es ihnen zwar etwa auf dem Niveau ihrer ersten beiden Scheiben (und der einen Live-Scheibe) zu bleiben, übertreffen aber tun sie diese auf keinen Fall.
Obwohl sie sich mit „Vietato Generalizzare“ sogar auf die Spuren von Emerson, Lake & Palmer zu Zeiten von „Brain Salad Surgery“ mit plötzlichem Gitarren-Intermezzo, das es ja bei ELP logischerweise so nie geben konnte, begeben, fehlt trotzdem am Ende eines jeden Titels dieses draufgängerische Moment und die übersprudelnde Spielfreude, sodass sich dem Hörer mitunter der Eindruck aufdrängt, hier spielen zwar Könner ihres Fachs, aber nicht mehr von Leidenschaft besessene Fanatiker. Auch Italiener werden eben älter, selbst wenn man es ihnen nicht immer ansieht, aber anhören kann man es ihnen. Und am schlimmsten wird’s, wenn sie dann sogar besagten Titel plötzlich total lieblos ausblenden. Dagegen hat „Mosoq Runa“ anfangs einen interessanten Hang zu entspannten Jazz-Klängen mit einem leichten Klassik-Ansatz, der, durch seine anschwellende Dynamik, reiner 70er-Jahre-Prog samt Mellotron und allem vertrackten Brimborium wird. Nicht nur einer der schönsten, sondern auch mit 18:57 Minuten der längste Titel der letzten Endes doch zu verzollenden CD. Und wenn ALBERTO DE GRANDIS anschließend in den Spiegel schaut, dann lächelt ihn vom Gesang her wohl ein ROBERT WYATT an, der zur Unterstützung auch gleich seine SOFT MACHINE mitgebracht hat.
Im Großen und Ganzen vereinigen sich auf „4th“ symphonischer Jazzrock mit Retro-Prog und einigen Space-Rock-Elementen, wie wir sie von HAWKWIND her kennen. Doch manchmal holpert die musikalische Karre zu sehr auf ihrem Weg in Richtung Canterbury, nimmt einige überflüssige Umwege oder wählt aus Versehen eine Sackgasse, die nennt sich dann zu schwacher Letzt „La Ballata De S’Isposa ‘E Mannorri”. Hier haben sich nämlich die vier Herren drei sardische Sängerinnen ins Boot geholt und paddeln durch folkloristische Teiche, in denen am Ende der bis dahin recht gelungene Canterbury-Karren versinkt (oder versingt ;-), selbst wenn der Gesang nicht schlecht ist, aber irgendwie passt der Titel einfach nicht auf DIESES Album und schon gar nicht an dessen Ende. Für mich zumindest ist dieses Ende nicht einfalls-, sondern einfaltsreich und hinterlässt einen faden Beigeschmack.
FAZIT: Größtenteils symphonisch-progressiver Instrumentalrock mit deutlichem Hang zu frühen CARAVAN und späten (PIERRE MOERLEN’S) GONG auf ihrem Trip nach Canterbury.
Punkte: 9/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 27.10.2008
Luca Baldassari
Alberto De Grandis, Andhira (alias Elena Nulchis), Cristina Lanzi, Egiziana Carta
Silvio Minella
Alberto Bonomi
Alberto De Grandis
Alberto Bonomi (Flöte), Zoltan Szabo (Cello), Maria Vicentini (Violine & Viola)
Moonjune
64:20
17.07.2008