Wie liebevoll doch Musik von einigen Bands produziert wird… ach was sag ich: Produziert klingt so negativ, so profan. DEAR JOHN LETTER erschaffen ihre Musik. Nicht nur auf musikalischer Ebene, sondern auch auf materieller. Soll heißen, dass die fünf Herren aus dem Allgäu eine Verpackung hergestellt haben, die das neue Album „Between Leaves | Forestral“ in einzigartigem Gewand erstrahlen lässt. Ein stilvoller schwarzer Karton ist bedruckt mit fein ziselierten, goldenen Blättermustern, Scherenschnitte von Tieren erfreuen das Auge. Und der Karton wurde nicht etwa bloß verklebt, nein, in mühseliger Handarbeit wurde das gute Stück vernäht. Mit Nähmaschinen. Das hat Klasse! Eine ähnliche optische Wirkung konnten bisher nur die „Springsongs“ von HOSTSONATEN entfalten.
Schnell die Sonnenbrille aufsetzen und sich bloß nicht blenden lassen. Also flugs den letzten Funken Objektivität zusammengeklaubt und ran an die Musik. Stilistisch sind DEAR JOHN LETTER schnell einzuordnen. Da ist Postrock und Psychedelic. Das Ganze mit einer progressiven Note versehen. Und doch klingen DEAR JOHN LETTER nicht nach Schublade. Naturgemäß befinden sich auf „Between Leaves | Forestral“ keine Strophe / Refrain Nummern. Die sechs Tracks wachsen im Fluss, sind Organismen, die sich ausbreiten und ganz natürlich ihrem Lauf folgen. Klar tremolierende Gitarren tanzen vor melancholisch warmen Gitarrenwänden, Schicht um Schicht türmt sich auf, wobei jederzeit die Transparenz erhalten bleibt, Songideen werden stets offenbar. Das Schlagzeug schlängelt sich durch die Kompositionen, entrückter Gesang säuselt minimalistisch, dann zieht die Spannungskurve an, es wird gebrüllt, das Schlagzeug wütet wuchtig, lasst uns all das Üble hinausschreien in den Wind, den Wald, in die ganze Welt. Akustische Traumpassagen zupfen Schönheit aus der Dunkelheit, Pianoakzente perlen wie Wassertropfen über Rost und Blätterwerk, rollen wie Wogen dramatisch über den Ozean.
Die Atmosphäre schwankt zwischen erdig, wuchtig, verschachtelt und lockerleicht aufgelöst, sakral. Diese Musik vollbringt das Kunststück, trotz moderner Komponenten naturnah zu sein, trotz Sperrigkeit eingängig. Hier musizieren TOOL mit SIGUR RÓS und Einzigartigkeit. DEAR JOHN LETTER klingen bekannt und dennoch neu. Vertrackt und gleichzeitig warm. Fröhlich und traurig. Einfach schön und schmerzhaft. Leidenschaftlich. Wunderbar.
FAZIT: Die Perlen lauern schon lange im Underground. Lasst ab von den plastikproduzierenden Labels, wendet euch hin zu den kleinen Entdeckungen, die ganz groß sind. Gebt DEAR JOHN LETTER eine Chance. Jetzt. Sofort.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 24.03.2008
David Grüner
Martin Fischer
Martin Fischer, Dominik Baur, Maximilian Nieberle
Maximilian Nieberle
Jakob Mader
Eigenproduktion
46:15
03.03.2008