Es war im Jahre 2005, als HELANGÅR ihre Vertonung von Robert Schneiders „Schlafes Bruder“ selbstproduziert unter das Volk brachten. Das Lineup des damaligen Sextetts ist auf ein Duo zusammengeschrumpft: Die Brüder Florian und Johannes Fuß halten tapfer Stellung und bringen in gemeinsamer Arbeit das dritte HELANGÅR Album heraus, das lautschriftlich „[kwIn‘ tes sens]“ heißt.
Textlich haben die Herren sich wieder so einiges vorgenommen. Die Quintessenz ist das, was dem Individuum nach den vier großen Demütigungen der Menschheit noch bleibt an Sinn und Relevanz in den Weiten des Universums. Die erste Demütigung stellt das Aufstellen einer neuen Sicht auf das Universum dar: Nikolaus Kopernikus entriss der Weltenkugel ihren vermeintlich zentralen Platz im All und setzte die Sonne ins Zentrum des Kosmos. Die zweite Demütigung soll die Theorie Darwins sein, nach der Menschen nichts als das Produkt von Selektion und Mutation sind, die dritte Herabsetzung geht auf die Rechnung Sigmund Freuds, der uns die Kontrolle über unser eigenes Unterbewusstsein in Abrede stellte. Von der vierten Demütigung möchte „[kwIn‘ tes sens]“ handeln. In der Philosophie des Reduktionismus wird davon ausgegangen, dass komplexe Phänomene auf weniger komplexe heruntergebrochen werden können. Auf den Menschen bezogen heißt dies, dass Verhaltensweisen, Gedanken und letztlich das, was wir diffus als „Seele“ bezeichnen, auf das Zusammenspiel von Materie mit den Naturgesetzen reduziert werden kann. Manchen Menschen fällt es schwer, das Selbst als sinnfreien Tanz der Physik mit der Mathematik zu verstehen, die Entzauberung der quasi mystischen Qualität des Geistes zu akzeptieren. Vergessen wird aber gern, dass „Sinn“ eine rein menschliche Größe ist, die eines äußeren Betrachters bedarf, der wertet, Handlungen und Resultate in Relation zu anderen Größen setzt. Glaubt man nicht an einen Gott, so ist die Anwendung des Begriffs „Sinn“ auf die menschliche Existenz nicht zulässig, denn der Mensch kann den Sinn des eigenen Daseins nicht aus sich selbst heraus bewerten, wenn er selbst Teil des Bezugssystems ist.
Man muss HELANGÅR lassen, dass sie zu interessanten Gedankengängen anregen und Interesse wecken an philosophischen Theorien, physikalischen Gesetzen und der Metaphysik, zu der Arthur Schopenhauer in seiner „Welt als Wille und Vorstellung“ einen pessimistischen Beitrag leistete – aus diesem Werk wird in der Intro auch fleißig bedeutungsschwanger rezitiert, um endlich auf die Musik von „[kwIn‘ tes sens]“ zu sprechen zu kommen. Im Vergleich zu „Schlafes Bruder“ ist HELANGÅRs neues Werk weniger eingängig ausgefallen, die kammermusikalische Komponente fällt unter den Tisch. Knorrig trockene, harte Riffs bestimmen das Geschehen, oft in verschleppten Rhythmen von natürlich krachendem Schlagzeug hinterlegt. Viele Texte werden mit tiefer Stimme ein wenig „gothic-like“ gesprochen. Hin und wieder brechen die beklemmenden Soundstrukturen auf und zur Akustischen wird klar am Lagerfeuer gesungen. Die Soli sind ungewöhnlich, jedoch nicht virtuos, die Stimmen kommen verzerrt, sakrale Orgeln versprühen morbiden Charme, während die Gitarren weiter akzentuiert schrappen und das Piano vereinzelt klare Töne spuckt. Die Melodien sind verschroben, den Kompositionen kommt die Stringenz abhanden, HELANGÅR wollen auf Atmosphäre setzen. Die englisch gesungenen Passagen kranken etwas am deutschen Akzent. Die Musik wird als seltsam abstraktes Etwas erlebt, das nicht auf die emotionale Ebene vorzudringen vermag, was beim gleichzeitig spannenden, gut umgesetzten Textkonzept sehr schade ist. Allein beim siebten Track werden die Gefühle von einem wunderschönen, klassischen Thema stimuliert, das in etwa so klingt, wie ein auf der Gitarre simuliertes, verfremdetes Cembalo.
FAZIT: HELANGÅR können dem durch die Texte gesetzten Anspruch musikalisch nicht ganz gerecht werden. Zwar hat das Duo einen recht eigenen Sound kreiert, was für sich genommen schon eine reife Leistung ist, doch berührt „[kwIn‘ tes sens]“ nicht das Herz, wirkt distanziert. Dennoch können Freunde avantgardistisch beeinflusster Metal- und Gothic-Klänge ein Ohr riskieren – die Grenze zwischen Anspruch und pseudointellektuellen Gehabe ist oft schmal und abhängig vom Auge des Betrachters.
Punkte: 8/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 05.04.2008
Florian Fuß, Johannes Fuß
Eigenproduktion
46:00
28.03.2008