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Karmakanic: Who’s The Boss In The Factory

Stil: Progressive Rock

Cover: Karmakanic: Who’s The Boss In The Factory

Prog-Musiker sind nie ausgelastet. Dieser simple Fakt beschwert uns das dritte KARMAKANIC-Album, das – so viel sei vorweggenommen – ein dickes Highlight im diesjährigen Progressive-Reigen darstellt. Jonas Reingolds (THE FLOWER KINGS) Nebenbeschäftigung ist kein Auffangbecken für musikalische Resteverwertung, sondern eine echte Band, welche den großen Blumen-König-Bruder stellenweise locker in den Schatten stellt.

Der beinahe zwanzigminütige Longtrack steht gleich am Anfang. Mit sonniger Grundstimmung beginnt dieses Opus mit dem Gesang von Reingolds fünfjährigem Sohn Alex. Aber keine Angst, „Send A Message From The Heart“ ist kein Kinderlied, sondern ein positive Vibes versprühendes Werk symphonischen Progs, das hemmungslos in Melodien schwelgt ohne dabei käsig zu wirken. Hier scheint der TRANSATLANTIC-Geist durch und in der Mitte darf einmal so richtig drauflosgefrickelt werden. Man will es gar nicht sagen, aber das klingt schwer nach DREAM THEATER: Ab Minute 8:33 werden die New Yorker - unbewusst? – zitiert (man sage mir bitte, welcher Song). Der Ausflug in Richtung Traumtheater bleibt im Albumverlauf einmalig, denn KARMAKANICs Sound ist im Grundtenor ein gänzlich anderer. „Let In Hollywood“ ist deutlich einfacher und gradliniger ausgefallen, ist eher stampfender Rocker als progressives Liedgut. Ein feines Synthi-Solo rundet diese Spaß-Nummer gelungen ab. Dann beginnt der Titeltrack verhalten mit melancholischem Pianospiel, das von düsteren, beschwörenden Vocals begleitet wird. Die Nummer nimmt schließlich Fahrt auf und verwandelt sich in einen dunklen, relaxten Rocker mit coolem Rhythmus. Symphonische Passagen reißen aus der Düsternis, fragile Basslinien umfließen glasklares Piano, zerbrechliche Chöre schüren die Dramatik, bevor der Track pompös von solierenden Keys und Gitarren ins Ziel getragen wird.

„Two Blocks From The Edge“ beginnt mit dunkler Grundstimmung, mutiert dann zu einem Akustik-Rock-Song mit klasse Gesang. Schon bald werden die Rhythmen schwerer und Theo Travis glänzt mit herrlichen Improvisationen am Saxophon. Eine Stärke von KARMAKANIC ist es, Jazz-Parts derart in die Songs einfließen zu lassen, dass diese nicht wie abstrakte, schwerverdauliche Fremdkörper in den Kompositionen hängen, sondern mit der progtypischeren Instrumentierung kunstvoll verschmelzen. Besonders hervorzuheben ist das grandiose Klavierspiel des Jazz-Pianisten Joe Zawinul, das auch den hochemotionalen Zweiteiler „Eternally Pt. 1“ und „Eternally Pt. 2“ mit wunderschönem klassischem Piano veredelt, welches sich nach und nach mit warm fließenden Basslinien Jonas Reingolds vereint, die sanft die spätere Gesangsmelodie vorwegnehmen. Dezente Streicher vermitteln eine erste Andeutung von Tragik. Dann setzt Göran Edmans Gesang ein, der ein zutiefst ergreifendes Gefühl von Einsamkeit und tragischer Verlorenheit transportiert. Bilder einsamer Straßen schweben vor dem inneren Auge vorbei, Stille ist überall, während tief drinnen im Herzen Gefühle von Traurigkeit und Verlust wüten. Gänsehaut fabrizierendes Akkordeonspiel überzeugt sowohl begleitend, als auch exaltiert solierend, die Dramatik nimmt zu, Streicher branden auf, während der Gesang nach Erreichen des emotionalen Höhepunktes es den Instrumenten überlässt, den Song langsam ausklingen zu lassen. Mal ganz im Ernst: Wie oft in der Geschichte des Progs stand auf einem Album ein Song, der derart emotional durch Bauch und Eingeweide rast, einen nach dem Hören stumm und ergriffen dastehen lässt, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen? KARMAKANIC vollbringen dieses Kunststück und haben sich hier und jetzt in das Herz des Rezensenten gespielt, wie es gar zu selten der Fall ist.

FAZIT: „Who’s The Boss In The Factory“ ist ein kleines Meisterstück geworden. Zwar gibt es Parallelen zum FLOWER KINGS- und TRANSATLANTIC-Sound, doch setzen Saxophon, Piano und Akkordeon gewichtige Gegenpole zum Klang der vermeintlichen Vorbilder. KARMAKANIC verbinden das symphonisch Ausladende mit dem cool Jazzigen und vollbringen dabei das, woran die spieltechnisch ebenfalls versierte Konkurrenz regelmäßig scheitert: Die Mannen um Jonas Reingold schreiben Songs, die nicht nur anspruchsvoll arrangiert sind, sondern auch stets das Herz anzurühren verstehen. Und genau das macht dieses Album zu einem Juwel.

Punkte: 12/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 11.10.2008

Tracklist

  1. Send A Message From The Heart
  2. Let In Hollywood
  3. Who's The Boss In The Factory?
  4. Two Blocks From The Edge
  5. Eternally Pt:1
  6. Eternally Pt:2

Besetzung

  • Bass

    Jonas Reingold

  • Gesang

    Göran Edman

  • Gitarre

    Jonas Reingold, Krister Jonsson

  • Keys

    Lalle Larsson, Jonas Reingold, Tomas Bodin

  • Schlagzeug

    Zoltan Csörsz

  • Sonstiges

    Andy Tillison (Hammonds, Mood Synths), Theo Travis (Saxophon), Joe Zawinul (Piano)

Sonstiges

  • Label

    InsideOut

  • Spieldauer

    55:40

  • Erscheinungsdatum

    24.10.2008

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