Da hätte ich mich doch fast gehörig blamiert, als ich meine Rezi nach Recherchen im Internet folgendermaßen begonnen hatte:
„Wohl aus Anlass der gemeinsamen Live-Tour von LONG DISTANCE CALLING und LEECH, die ab dem 16. Oktober in Münster beginnt und sich sogar auf die Schweiz und Österreich ausdehnt, erscheint diese 33-Minuten-EP mit jeweils zwei Stücken der beiden deutschen Bands und einem Übergangsstück – wer weiß, wer das verzapft hat – was allerdings ziemlich egal ist, denn die 51 vor sich hinblubbernden Ambient-Sekunden sind nicht der Rede wert.
Bemerkenswerter ist dann schon, dass die ‚erfahreneren, reiferen’ Herren von LONG DISTANCE CALLING den Jungspunden von LEECH auf dieser EP deutlich mehr Zeit (19 Minuten und 44 Sekunden) einräumen als sich selbst. Und dieses mehr an Beachtung haben sich Robo, Ändy, Sly und Dan (Namen der Musiker von LEECH) wirklich verdient, denn mit ‚Inspiral’, einem sich langsam erhebenden und von akustischen zu elektronisch verstärkten Klängen übergehenden und durch ein Schlagzeug vor sich her getriebenen 13-minütigen Stück, platzieren sie tatsächlich den besten Titel auf ‚090208’.“
Hätte ich diese Kritik so fortgesetzt, müsste ich wohl, ähnlich wie WENDELIN es immer seinem guten Freund WUM zu verstehen gibt, „Ach, ist mir das peinlich!“ durch meinen Rüssel (natürlich aus Elefantensicht betrachtet) tröten, aber nur so lange, wie keiner daran SAUGT (LEECH = Saugen ;-). Denn wer konnte so ohne weiteres und besonders ohne Hintergrundinformationen wissen, dass nicht nur in Deutschland gesaugt wird, sondern auch in der Schweiz.
Nur verfügte ich leider über keinerlei (Promo- oder anderweitigen) Infos zu dieser Kombi-EP zweier Instrumental-Epigonen, die sich den epischen Klanglandschaften solcher Typen verschrieben hatten, die in GÖTTLICHEM TEMPO! NACH DEM SCHWARZEN HERRSCHER Ausschau halten. Darum glaubte ich in meinem menschlich schwachen, verdammt langsam denkenden Kritikerköpfchen ohne göttliche Antreiberei und nach ausgiebigen Internet-Recherchen doch tatsächlich, dass diese LEECH aus der Schweiz tatsächlich jene LEECH aus dem verträumten deutschen Ländle namens Freiburg sind, die sich verstärkt den metallischen Klängen verschrieben haben. Falsch gedacht, du sündiges Kritikerleinchen!
Und so wurden zu meiner letzten Rettung die Babyblauen Seiten, die gerade eine Kritik zu genau dieser EP hochluden und in der ich nicht nur einen Link (www.leech.ch) zu LEECH erhielt, sondern auch Aufklärung über besagte, nunmehr nicht mehr deutsche, sondern SCHWEIZER Band.
Am 9. Februar 2008 musizierten die beiden Postrockinstitutionen gemeinsam in der Schweiz, wo sie sofort gegenseitige Bewunderung füreinander empfanden. Das wird sicherlich niemanden überraschen, wenn er diese EP hört, deren Name sich im Grunde von selbst erklärt und dessen Rätsel genau in diesem Absatz gelöst wurde. Auf „090208“ zumindest passt definitiv der deutsche Topf unter den schweizer Deckel und um nicht als Nationalist beschimpft zu werden, gilt dies natürlich auch in umgekehrter Weise für schweizer Töpfe und deutsche Deckel, rein musikalisch betrachtet!
Im Grunde genommen gibt es zwischen beiden Bands höchstens marginale Unterschiede, sodass eine Zuordnung der vier Stücke zur jeweiligen Band schwer fallen würde. Wir hören anfangs ruhige, verstärkt akustische Musik, die sich elektrifiziert und schlagzeugisiert (Neologismus!) erhebt, um sich orgastisch zu entfalten. Während allerdings LONG DISTANCE CALLING verstärkt die rockige Schiene fahren, entscheiden sich LEECH mehr für die psychedelische Schiene, was wohl besonders der verstärkten Einbindung von Tasteninstrumenten geschuldet ist. Hier haben sich eben zwei gesucht und gefunden. Wünschen wir ihnen eine gemeinsame, glückliche Zukunft, egal ob sie über weite oder kürzere Entfernung die Aufmerksamkeit ihrer Zuhörer aufsaugen!
FAZIT: Diese EP ist ein kleiner Vorgeschmack auf die gemeinsame Tournee und die angekündigten Studio-Alben der deutschen und der schweizer Postrock-Band. Während LONG DISTANCE CALLING zwei neu bearbeitete, längst vergriffene Demoaufnahmen beisteuert, beschränken sich LEECH interessanter Weise auf einen Titel ihres bald erscheinenden Studio-Albums und einen angeblich nur für diese EP produzierten, sehr bemerkenswerten Titel.
Und hier (statt einer Punktewertung) noch ein PS: Vielen Dank, liebe ZOFIA, dass ich jeden Abend vorm Schlafengehen laut die lustigen Dialoge von „Wum und Wendelin“ mit dir lesen darf, das ist nicht nur eine geistige Herausforderung, sondern bereichert manchmal sogar eine Musikkritik!
Erschienen auf www.musikreviews.de am 13.10.2008
Jan Hoffmann (LDC)
Florian Füntmann, David Jordan (LDC), Urs Meyer, Marcel Meyer (LEECH)
Reimut van Bonn (LDC), Tobias Schläfli, Urs Meyer, Marcel Meyer (LEECH)
Janosch Rathmer (LDC), Serge Olar (LEECH)
Cargo Records
33:54
10.10.2008