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Marten Kantus: Stratify

Stil: Instrumentale Wundertüte

Cover: Marten Kantus: Stratify

„Der Musiker MARTEN KANTUS wurde 1967 in Westdeutschland geboren.“ (Erster Satz der Presseinfo.)

Der Kritiker THORALF KOSS wurde 1964 in Ostdeutschland geboren.“ (Zweiter Satz einer www.musikreviews.de-Kritik.)

Gibt’s eine idealere Voraussetzung für eine unvoreingenommene Kritik? Ein ehemals eingemauerter Ossi schreibt über einen damals freien Wessi. Zwei (zu diesem Zeitpunkt im Grunde völlig verschiedene) Deutsche, die wohl nicht nur die gemeinsame Sprache miteinander verband, sondern auch ein sehr ähnlicher Musikgeschmack: MIKE OLDFIELD, GANDALF, PIERRE MOERLEN’S GONG, PINK FLOYD usw.

Nur während der Ossi 130 sauer verdiente Ostmark für eine LP seiner o.g. Musikgötter auf dem DDR-Schwarzmarkt ausgab, machte der Wessi mit den ihm zur Verfügung stehenden technischen und musikalischen Möglichkeiten eine vergleichbare Musik wie diese. Und ich gebe es unumwunden zu, für MARTEN KANTUS hätte ich auch einen ähnlich hohen Preis bezahlt!

Mit einem Sprung ins Wasser beginnt „Stratify“ – aber wohl nicht um über die Ostsee das kommunistisch gelobte Land in Richtung Westen zu verlassen, es zu durchschwimmen, dabei vielleicht zu ersaufen oder von einem Grenzboot abgeschossen bzw. geborgen und inhaftiert zu werden – sondern um die musikalische Reise in eine verträumte, feuchtfröhliche Musiklandschaft anzutreten, die bisher aus unerklärlichen Gründen noch unentdeckt geblieben ist und heute irgendwo in der Karl-Liebknecht-Straße (Oh, welche Ironie – bedenkt man nur, dass Karl Liebknecht 1918 Gründungsmitglied der KPD war und sicher ganz andere Ziele verfolgte, als die, welche uns üble Bonzen dann in der DDR missbräuchlich als den idealen Sozialismus verkauften!) in Berlin wohnt und (wahrscheinlich) M. Kantus am Türschild stehen hat.

„Der Stahl ist lebendig“. Diesen Satz kann man nach dem Öffnen der CD-Hülle direkt neben dem liebevoll gestalteten Silberling lesen. Und innerhalb kürzester Zeit wurde mir zumindest klar, worum es sich bei diesem „lebendigen Stahl“ handelt. Es sind wohl die, solange sie unberührt bleiben, kalten, leblosen Stahlsaiten von Kantus’ E-Gitarre gemeint, die ein unglaubliches Eigenleben entwickeln, wenn Kantus’ Finger sie anschlagen oder zupfen. Oftmals klingen sie dann nach einem verdammt lebendigen MIKE OLDFIELD, aber manchmal auch, wie beim Beginn von „Swim“, völlig unprogressiv, dafür aber weltmusikalisch nach einem OTTMAR LIEBERT.

Nun ist instrumentale Musik nicht unbedingt jedermanns Sache, was wohl auch dazu führte, dass Marten sich von vornherein nicht auf große Suche Richtung Major-Deal begibt, sondern eine „Verkaufsstrategie“ für seine Musik entwickelt, die jeden Profit-Geier zum Selbstmord treiben würde. Er bietet alle CDs unter seiner Homepage nicht etwa zum Verkauf an, sondern versendet sie an wirklich Interessierte gratis mit folgender Bitte: „Magst du die Musik von Marten Kantus? Dann belohne sie mit einer Schenkung!“ Es ist unglaublich – Marten Kantus macht den finanziellen Wert seiner Musik vom Gefallen und Geldbeutel seiner Hörer abhängig. Und selbst wenn es Leute gibt, die gierig für seine musikalische Leistung nichts zahlen, scheint es ihn, den Idealisten, nicht zu jucken – er verklagt deswegen niemanden oder verschickt Zahlungsaufforderungen, nein, er wird einfach nur enttäuscht über solche Verhaltensweise sein und wenn sich das vielfach wiederholt, wahrscheinlich nach einer anderen Form der Verbreitung seiner außergewöhnlichen Musik suchen müssen. Das allerdings wäre verdammt schade, denn allein die Tatsache, dass Multiinstrumentalist Kantus nicht nur einen Haufen Instrumente perfekt spielt und arrangiert sowie hervorragend produziert, ist eine entsprechende Ent- oder Belohnung wert. Und während Mike Oldfield uns weiterhin mit seinem ständig neu aufgewärmten Mist überschüttet und sich den von uns teuer bezahlen lässt, sitzt ein deutscher „Mike Oldfield“ in unserer Hauptstadt rum und beglückt uns mit musikalischen Geschenken, für die wir den Preis bestimmen!

Einziger Kritikpunkt meinerseits an „Stratify“ ist, dass es der Musik an verschiedenen Ecken und Kanten fehlt, sie also etwas zu stark fließt und zu wenig ausbricht. Das ist allerdings meiner Hörgewohnheit geschuldet, die schon immer ein Album wie „Amarok“ solchen Werken wie „Incantations“ vorzog – andere Oldfield-Fans werden das genau umgekehrt sehen.

Auf dem CD-Cover zitiert Kantus den expressionistischen Lyriker GOTTFRIED BENN, der dafür bekannt war, dass er die extrem schrecklichen Bilder, die er als Militär-Arzt in beiden Weltkriegen wahrnehmen musste, in seinen mitunter abstoßenden, regelrecht entsetzlichen Gedichten verarbeitete: „Für diejenigen, die danach streben, ihr Inneres nach Außen zu kehren, ist Kunst nicht nur Schöngeistiges, sondern etwas so Authentisches wie ein Fingerabdruck!“ Danke für die Vorlage – denn so bleibt für mich am Ende dieser Kritik folgendes FAZIT:

Kantus’ musikalischer Fingerabdruck auf „Stratify“ ist etwas Bleibendes. Er steht für instrumentale Musik, die seiner Seele entspringt und der er mit seinen unglaublich vielfältigen Möglichkeiten als Musiker ein Gesicht verleiht, das dem Hörer verträumt zulächelt.

Punkte: 10/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 07.09.2008

Tracklist

  1. Swim
  2. Cloud Of Glass
  3. Climb
  4. Jetstream
  5. Sparrow Walk
  6. Two Balloons
  7. Stratify

Besetzung

  • Bass

    Marten Kantus

  • Gitarre

    Marten Kantus

  • Keys

    Marten Kantus

  • Schlagzeug

    Marten Kantus

  • Sonstiges

    Marten Kantus (Mandoline, Ukulele, Violine, Perkussion, Glockenspiel, Melodica)

Sonstiges

  • Label

    Eigenvertrieb

  • Spieldauer

    45:21

  • Erscheinungsdatum

    18.07.2007

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