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Nektar: Book Of Days

Stil: Melodic Rock / Prog Rock

Cover: Nektar: Book Of Days

Er ist wieder da – unser BLUEBIRD, dieser kleine, rippendürre, blauhäutige, mit Schmetterlingsflügeln versehene Außerirdische, den NEKTAR vor ziemlich genau 35 Jahren auf ihrem ersten Top-20-Album in den Staaten „Remember The Future“ zum Leben erweckten. Aus Nektars Sicht scheint wohl die Zeit wieder reif für Bluebird zu sein, um unsere Welt von all ihren Krankheiten zu heilen, als da wären Umweltzerstörer, Kriegstreiber oder degenerierte Schönheitsoperations-Fanatiker. Leider hat unser kleiner Freund dabei vergessen, auch ein wenig mit den Musik-Müll-Fabrizierern aufzuräumen, stattdessen hat er ihnen ein zusätzliches Kleinod beigefügt.

Wenn „Book Of Days“ tatsächlich die Zukunft sein sollte, an die sich NEKTAR mit ihrem Debut 1973 erinnerten, dann kann man nur hoffen, dass beim nächsten Album endlich wieder Erinnerungen an die Vergangenheit wach werden. Dieser Wunsch ist garantiert nicht der Enttäuschung darüber geschuldet, dass die neuerdings zur einen Hälfte aus Briten, zur anderen Hälfte aus Deutschen bestehende Band immer weniger progressiv rockig klingt, sondern eher darüber, dass schwülstige Melodic-Elemente mit immer schlimmer klingenden Sangeseinlagen kombiniert werden.

Wenn ich früher den Bandnamen Nektar auf die griechische Mythologie zurückgeführt habe, in der sich hinter diesem Wort ein Unsterblichkeit verleihender Göttertrank verbarg, dann bringe ich damit heute höchstens noch aus botanischer Sicht die zuckerhaltigen Blütenablagerungen in Verbindung ... aus denen mit Hilfe unserer Bienchen ein zäh fließender, zuckersüßer Saft wird, den man in unserer Nahrungskette als „Honig“ bezeichnet und in unserer musikalischen Hörkette ab sofort als „Book Of Days“. Mit solch musikalisch-zähflüssigen Schleckereien, auf die speziell tapsige Bären stehen, versorgten uns in letzter Zeit so einige alteingesessene Bands, die nichts Besseres zu tun hatten, als uns neue Ausstöße älterer, flauer Aufgüsse zu präsentieren – und solche Bands kommen momentan tatsächlich aus allen Ecken und Enden dieser Welt – wie aus Polen SBB oder aus Ungarn OMEGA oder aus Großbritannien BARCLAY JAMES HARVEST oder aus Amerika HOLDING PATTERN. Keine der genannten Bands vermochte es, jene Ansprüche, die man ihrer Vergangenheit wegen zurecht an sie stellen konnte, auch nur ansatzweise zu erfüllen.

In diese Reihe ordnet sich nun auch Nektar ein. Besonders bedauerlich ist dabei, dass mit dem neuen Nektar-Keyboarder KLAUS HENATSCH einen Musiker gewinnen konnte, der durch seine musikalische Vergangenheit bei JANE durchaus Verheißungsvolles erwarten ließ. Und nicht nur das! Auch ROYE ALBRIGHTON hatte 2002 das größtenteils instrumentale Album „The Follies Of Rupert Treacle“ veröffentlicht, an dem er seit 1998 arbeitete und das neben vielen neoprogressiven, sehr entspannten Klängen auch deutliche Gitarrero-Anleihen bei DAVID GILMOUR aufwies. Außerdem schien er mit Rupert Treacle eine neue Figur geschaffen zu haben, die gleichermaßen Bluebirds Daseinsberechtigung in Frage zu stellen schien und als unsichtbarer Freund allen Erwachsenen immer wieder ihre kindliche Seite präsentierte – also so eine Art „Man-sieht-nur-mit-dem-Herzen-gut“-KLEINER PRINZ. All diese Tatsachen weckten eine berechtigte Hoffnung darauf, dass die neue NEKTAR-Scheibe nicht nur was für Imker und Balu-der-Bär-Liebhaber sein wird.

Doch stattdessen bekommen wir hier ein Tagebuch um die Ohren gehauen, das noch nicht einmal Neugier darauf erweckt, es heimlich durchzublättern. Und selbst wenn das Cover sich ganz deutlich an „Remember The Future“ orientiert, täuscht es uns nur die Erinnerungen an die Vergangenheit vor. Lieber hätte ich ein schwaches Cover, dafür aber gute Musik – für „Book Of Days“ gilt aber die genaue Umkehrung.

Die wohl größte Enttäuschung des Albums ist ROYE ALBRIGHTONs Stimme, die fast durchgängig so klingt, als würde er sich beim Singen die Nase zuhalten. In den ersten beiden Titeln wird versucht, dieses deutliche Manko durch Vocoder oder Stimmverzehrer zu verschleiern, doch nur mit wenig Erfolg. Musikalisch liegt der Sound, der ziemlich dünn und manchmal etwas blechern klingt, irgendwo zwischen LAKE, den späten MOODY BLUES, BARCLAY JAMES HARVEST und neuerdings sogar etwas THE WHO (die späten, bei denen ihr Sänger auch beweist, dass er kaum noch Stimme hat). Eine Ausnahme bildet dabei „The Iceman“, ein Titel, der in Text und Ton locker auf jedem trostlosen Album von ROGER WATERS einen würdigen Platz gefunden hätte.

Selbst die Tatsache, dass mit „Doctor Kool“, „The Iceman“ und „Where Are You Know“ Titel mit jeweils über 10 Minuten Laufzeit erklingen, macht dieses Album nicht besser, denn es ist einfach zu glatt und zu steril. Die psychedelischen Elemente früherer Zeiten fehlen gänzlich, aber auch der deutlich fettere Sound ist wortwörtlich flöten gegangen. Da können auch die spärlich eingesetzten akustischen Gitarrentupfer, die sehr gelungen sind, oder die anfänglich noch viel versprechenden Hardrockelemente nichts mehr retten. „Book Of Days“ beginnt mit einem musikalischen Donnerwetter (Sturm, Donner und plötzlich einsetzende E-Gitarren im perfekten Stereo-Sound, die dann durch ein blechern klingendes Schlagzeug und diesen seltsamen Vocoder-Gesang regelrecht angepisst werden.) und endet als eine laue Brise!

Mach’s gut BLUEBIRD – und vergiss bei deiner Rückreise nicht, dieses Album wieder mitzunehmen.

NEKTAR sollten ihre Zukunft vielleicht doch besser in der Vergangenheit suchen.

FAZIT: Laut Presse-Info enthält „Book Of Days“ 8 Songs mit ausgedehnten Arrangements, schnörkellosem Rock und gefühlvollen Passagen. Diese Aussage ist gar nicht mal falsch, aber es fehlen einige wichtige Zutaten: wirklich guter Gesang, zündende Ideen und eine fette Produktion.

Punkte: 5/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 24.05.2008

Tracklist

  1. Over Krakatoa
  2. King Of The Deep
  3. Lamorna
  4. Doctor Kool
  5. The Iceman
  6. Where Are You Now
  7. Book Of Days (Between The Lines)
  8. Book Of Days

Besetzung

  • Bass

    Peter Pichl

  • Gesang

    Roye Albrighton

  • Gitarre

    Roye Albrighton

  • Keys

    Klaus Henatsch

  • Schlagzeug

    Ron Howden

Sonstiges

  • Label

    Bacillus Records / Bellaphon

  • Spieldauer

    54:52

  • Erscheinungsdatum

    16.05.2008

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