Die musikalische Sozialisation ist sicher ein jahrelanger Prozess, aber er verläuft nicht linear. Manchmal macht er einen Sprung. Der junge Mensch hört etwas, das spontan Horizonte eröffnet, einen Meilenstein setzt. Die Augen werden groß. Was ist das denn? Wie GEIL ist das denn!? Er strahlt über alle Backen. Solche Schlüsselerlebnisse gibt es nicht sehr viele, ich erinnere mich noch genau an jeden. Diese wenigen Platten sind die, die immer GEIL bleiben Sie zu hören fühlt sich anders an als bei den „normalen“ Scheiben – eine gewisse Neigung zur Sentimentalität vorausgesetzt.
Das erste Mal hörte ich SKYCLAD, als „Prince Of The Poverty Line“ gerade erschienen war. Mein kleiner Bruder kam damit an und ich habe sie ihm, da ich diese Platte sofort besitzen musste, am selben Abend abgekauft und er ist am nächsten Tag losgerannt und hat sie noch mal angeschafft. Was die Gesichtszüge zum Entgleisen bringt, ist schlicht eine knappe Stunde perfekte Musik. Die Erfinder des Metal-Folk-Crossovers hatten ihren Zenit erreicht und brannten hier das ultimative Feuerwerk ab. Jeder Song ein Hit, jede Zeile eine Wahrheit. Wenn Zwerg Walkyier losrumpelt und über soziale Kälte klagt, das Land im Slum versinken sieht, vor Fremdenhass und Umweltzerstörung warnt und im absoluten Überhit „Civil War Dance“ wütend zum Aufstand ruft, reckt sich die Faust gegen alles Unrecht der Welt. Die Effizienz der Stücke ist sogar für die Songwriting-Götter SKYCLAD einmalig, denn auf „Prince Of The Poverty Line“ ist wirklich jeder Song ein Klassiker. Dazu kommt die Einzigartigkeit der Kombination aus thrashigem Metal und einer Geige als Lead-Instrument. Was für eine großartige Idee, die zu unzähligen Ohrwürmern geführt hat.
Auch spielerisch hatten sie einen wunderbaren Schwung, der das Stillhalten bis heute unmöglich macht. Selbst jetzt, da ich die Platte höre, zappele ich am Computer rum und drücke lauter falsche Knöpfe. Zu guter letzt ist dieses Meisterwerk auch noch ein klangliches Highlight, denn die Riffs fliegen einem hier noch aus surrenden Verstärkern um die Ohren und das Schlagzeug klingt wie ein fettes, lautes, von Menschen gespieltes Instrument und nicht wie Geräusche aus einen Computerspiel.
FAZIT: Diese Platte gehört zu meinen Schätzen seit dem Abend, als ich sie meinem Bruder aus den babyspeckigen Pfoten gerissen habe. Sofort zündende Songs, die trotzdem immer spannend bleiben, intelligente Inhalte, toller Sound, hervorragendes Handwerk - besser geht es einfach nicht.
Punkte: 15/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 05.11.2008
Graeme English
Martin Walkyier
Steve Ramsey, Dave Pugh
Cath Howell
Keith Baxter
Cath Howell (Violine)
Noise
51:56
05.11.1994