Man hätte natürlich auch auf Nummer sicher gehen können. Wie zum Beispiel ATREYU, die mit ihrem aktuellen Album viele ihrer Fans vor den Kopf stießen, als sie plötzlich weichgespülten, radiotauglichen Poprock spielten, statt aggressivem was-auch-immer-core. Wie zum Beispiel FEAR FACTORY, die mit ihrem aktuellen Album viele ihrer Fans vor den Kopf stießen, als sie plötzlich untypischen, viel zu rockigen Metal spielten, statt der typisch steril sägenden Riffs. Wie zum Beispiel IN FLAMES, die mit ihrem aktuellen Album viele ihrer Fans vor den Kopf stießen, als sie plötzlich poppigen, belanglosen MTV-Metal spielten, statt des viel interessanteren, härteren Vorgängers "Come Clarity". Man ist aber nicht auf Nummer sicher gegangen.
"Define The Great Line" aus dem Jahre 2006 verkaufte sich bis zum heutigen Tage über eine halbe Million mal. Hätte sich also finanziell gelohnt, die alte Schiene weiter zu fahren: Progressiv verspielten Post Hardcore mit dem Brüllgesang Spencer's und der glockenklaren Singstimme von Aaron und langen, ruhigen, atmosphärischen Passagen. Einen kompletten Stilbruch haben UNDEROATH mit "Lost / In / The / Sound / Of / Separation" nicht begangen, dennoch dürfte sich der geneigte Hörer wundern, was die penetranten Christen ihm/ihr für einen sperrigen, schnellen und agressiven Brocken vor den Latz knallen. Dass ich penetrante Christen schreibe, kommt nicht von ungefähr. Nix gegen derlei Thematik in den Songtexten, da sie immer noch Raum für Interpretationen lassen, allerdings sind diese größtenteils schon sehr plakativ. Wenn auf deren Konzerten Sätze fallen wie "We love playing music and everything, but we hope when you hear us, and see us, you don't see Underoath, but you see Jesus Christ." und auch "It's all about Jesus. He's the reason we do this." empfinde ich das schon als penetrant. Doch nun geht es um deren aktuelles Album, nicht um deren Ambitionen als Missionare bei ihren Auftritten.
Gleichsam mit "No Tears For The Creatures" von JOHNNY TRUANT offenbaren sich die Details und Nuancen der einzelnen Songs erst nach mehrmaligen Hördurchläufen. Anfangs fällt auf, dass die Platte rasend schnell nach vorne prescht und Aarons klare Singstimme so gut wie nie zum Einsatz kommt. Mit der Zeit stellt man jedoch fest, dass, anders als auf "Define The Great Line", dieser nur verhältnismäßig kurz innerhalb der Songs zu hören ist, um nicht zu viel von der agressiven Dynamik zu nehmen. Verstärkt tritt nun auch das Element des choralen Gesangs zum Vorschein, wovon zum Beispiel "To Whom It May Concern" auf dem Vorgänger vollständig getragen wurde. Auch die plötzlichen Ausfälle des Noise-Gates zwischen den Riffs sind wieder zu hören, sowie hier und da kleine Elektro-Spielereien.
Dass "The Created Void" von den Jungs als "melodische Atempause" beschrieben wird, trotz der Tatsache, dass hier nur leicht vom Gaspedal runtergegangen wird, ist etwas seltsam. Hier hat Aaron jedoch weitaus mehr am Mikro zu tun und macht im Kontext des Albums schon Sinn. Wahrscheinlich ist das auch einer der ersten Songs der hängen bleibt, aufgrund dessen, dass er so eine Art Ruhepol inmitten des Albums bildet. Ein zweites "Salmarnir" oder auch "Casting Such A Thin Shadow" sollte man jedoch nicht erwarten, dafür ist es zu heftig. Ruhigere Töne schlägt auch der Doppelrausschmeißer "Too Bright To See, Too Loud To Hear" und "Desolate Earth :: The End Is Here" an, jedoch ohne an die Intensität und Atmosphäre der ruhigeren Stellen des Vorgängers anknüpfen zu können. Insgesamt dennoch ein würdiger Nachfolger, nicht zuletzt aufgrund dessen, dass UNDEROATH sich nicht anbiedern oder auf dem bereits Erreichten ausruhen, sondern weitaus sperriger als zuvor klingen.
FAZIT: Wem "Define The Great Line" zu viele ruhige Momente, zu viel klaren Gesang, und generell zu wenig Aggressivität zu haben schien, wird "Lost In The Sound Of Separation" aufgrund wenig ruhiger Momente, weniger klarem Gesang und einem aggressiveren Charakter mehr zu schätzen wissen. Zwar haben sie ihre Trademarks immer noch in ihren Sound integriert, diese treten allerdings weniger dominant zum Vorschein als zuvor. Quintessenz dessen: UNDEROATH-Fans werden ihre Freude daran haben, interessierte Hörer mit Vorliebe für Post Hardcore dürfen auch ein Ohr riskieren.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 09.09.2008
Grant Brandell
Spencer Chamberlain
Tim McTague, James Smith
Christopher Dudley
Aaron Gillespie
Tooth&Nail Records / Solid State / EMI
41:50
12.09.2008