„Wat shriev mer en su enem Fall?“
Na ja, auf jeden Fall eine knallharte Kritik – „Suwiesu!“
Wir schreiben das Jahr 2001. Das Jahr des sechsten Rockpalastauftritts von BAP, die damit zu den „Königen des Rockpalasts“ werden, welche nun mit der Anzahl ihrer Auftritte unangefochten an der Spitze dieser Konzertreihe stehen. Auch lassen sie endgültig RORY GALLAGHER hinter sich, der es gerade mal auf „läppische“ fünf Konzerte dort bringt. Selbstverständlich teilt Herr NIEDECKEN, regelrecht stolz dieses symbolische Königszepter über der Zuhörerschar schwingend, diese Tatsache dem Publikum in einer seiner Ansagen mit.
Was er jedoch zu diesem Zeitpunkt nicht weiß, ist, dass es auch für BAP das letzte Rockpalastkonzert in dieser Besetzung sein wird. Zwei, die gerade das ohne den „Major“ neu reformierte Bild um NIEDECKEN wesentlich prägten, werden ihn zwei Jahre später verlassen.
Die eine, SHERYL HACKETT, versucht solo erfolgreich ihren Weg zu gehen, der dann völlig unerwartet 2005 mit ihrem Tod endet.
Der zweite, JENS STREIFLING, trifft eine Entscheidung, die mir aus künstlerischer Sicht ehrlich gesagt unbegreiflich ist und WOLFGANG NIEDECKEN offensichtlich ärgert. Er lässt sich sogar zu den Worten hinreißen: „Er (Streifling) ist zu einer Karnevalskapelle desertiert.“, womit der BAP-Frontmann kein Unrecht hat. Der Sachse STREIFLING scheint sich, getreu dem Motto „Geld stinkt nicht!“, für ein gänzlich anderes Musiklager entschieden zu haben – seine neue Band ist auch aus Köln, hat aber mit BAP in etwa so viel zu tun, wie eine Gen-Tomate mit gesunder Ernährung. Dem Anspruch von BAP zum Hohn entscheidet er sich für eine Zukunft bei HÖHNER – Karnevalsnase statt beeindruckender Texte. Wirklich schade – dieses Konzert nämlich ist der Beweis für Niedeckens und auch meine Enttäuschung! Denn Streiflings Elan und Können sowie die Vielzahl der von ihm beherrschten Instrumente prägen immer stärker das Bild der Kölner Anti-Karnevalsgruppe, aus dem sie spätestens seit „Nit für Kooche“, nie einen Hehl machten. Solche Zeilen wie: „Oh nein, nicht für Kuchen, bleib ich Karneval hier!“, oder „Wenn der letzte Verklemmte mir das Du anbietet / und einmal im Jahr auch meine Sprache spricht / Ich kann wirklich nicht drüber lachen, wenn jene fragen / die sonst nichts ohne Schlips und Kragen machen / ob ihre Pappnase richtig sitzt.“, sprechen diesbezüglich schon eine mehr als deutliche Sprache, der auch ich schmunzelnd und seit Geburt pappnasenlos beipflichte.
Hätte NIEDECKEN hellseherische Fähigkeiten gehabt, bestimmt wäre „Nit für Kooche“ fester Bestandteil ihrer „’Aff un zo’-Konzert-Tour“ gewesen. Er wusste und ahnte es aber nicht und so erklingt von ihrem 82er-Erfolgsalbum „BAP – vun drinnen noh drusse“ leider nicht ein einziger Titel.
Das dreistündige Konzert in Euskirchen, wie gehabt in hervorragender Bild- und Tonqualität (5.1. Dolby- und 2.0 Stereo-Ton) für die BAP-DVD-Edition aufgezeichnet, beginnt bei Tageslicht und endet in tiefer, nächtlicher Dunkelheit. Und das, was man an der „Toten Brücke“ geboten bekommt, hat viele lichte, aber auch einige düstere Momente.
Im Gegensatz zum vorangegangenen „Rockpalast-Auftritt“ (1999 im Musical Dome) ist die Freiluftatmosphäre eine völlig andere. Die Stimmung ist aufgeheizter und die eine oder andere Ansage von NIEDECKEN geht ein wenig in der Unruhe vor der Bühne unter. Nicht alle hängen wie im Musical Dome an seinen Lippen, sondern wollen statt Texten einfach nur Musik hören. Doch auch hier gibt es eine bewegende Ausnahme. Bei seiner Ansage zu „Chippendale Desch“ kann man regelrecht eine Stecknadel fallen hören und auch der Kameraschwenk über die interessierten Gesichter aus dem Publikum fängt deren Bewegtsein hervorragend ein. NIEDECKEN spricht über seine Erinnerungen an diesen Tisch, der seine Kindheit prägte, und er spricht über den Tod seiner Mutter, die zum Zeitpunkt des Konzerts vor genau einem Jahr verstorben war. Ein wirklich emotionaler Höhepunkt des Konzerts!
Insgesamt aber hält sich Niedecken mit seinen erklärenden oder hintergründigen Worten zu einzelnen Titeln ziemlich zurück. Mitunter zieht die Band ihr Repertoire einfach durch – und zu diesem Repertoire gehört auch, dass ihr „Aff un zo“-Album komplett live über die Bühne geht. In Anbetracht der Tatsache, dass dies ohne ein Rumoren der Fans oder das ständige Einfordern bekannterer Titel gelingt, bedankt sich Niedecken bei seinem Publikum sogar für dessen Verständnis. Ein bisschen komisch ist das schon. Allerdings gehörte besagtes Album auch nie zu den wirklichen Favoriten meiner BAP-Plattensammlung.
Dafür erklingt aber einer meiner absoluten Lieblingstitel bereits zum zweiten Mal beim Rockpalast, der besonders wegen seiner politischen Aussage – denn BAP waren und sind schon immer Musiker gewesen, die sich zumindest einmischen und zu Wort melden, wenn es im Lande stinkt und statt blöden Büttenreden klare Worte finden (Nicht wahr, Herr Streifling?) – so wert- und wundervoll für mich ist.
Denn während diese Kritik entsteht, muss ich daran denken, dass ich in einer Stadt des sächsischen Landkreises Meißen sitze, die RIESA heißt und sich dafür rühmt, eine Wirtschafts- und Sportstadt zu sein, nachdem sie zuvor bei dem Versuch, Kulturstadt zu werden, jämmerlich gescheitert war. Eine Stadt, die aber auch den traurigen Ruhm erlangt hat, den Nazis der zweiten Generation und deren üblen Presseorgan „Deutsche Stimme“ eine NPD-Heimat zu sein. Von hier aus spinnen die Gansels und Apfels dieser Welt ihr rechtes, propagandistisches und menschenverachtendes Netz, ziehen in alle sächsischen Kreistage und den Landtag ein und kaum einer wehrt sich. Die Verwaltung guckt zu und streicht die Gewerbesteuern der strammen deutschen Burschen(schaften) und (heimatverbundenen) Mädels ein, während die meisten Bürger einfach stillhalten oder aus ihrer Sicht entweder nicht den Mut oder einfach größere Probleme als den Kampf gegen diese braune Brut haben. Da möchte man manchmal laut rufen: „BAP, wir brauchen euch hier, vor Ort, wenn ihr (von mir für diese Kritik mal eingedeutscht) singt: ‚Wenn wir den Arsch nicht hoch kriegen, ist es eines Tags zu spät. Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem die Nazibrut rauskroch. Jetzt gilt es: Arsch hoch, Zähne auseinander, jetzt, nicht nächste Woche’!“ Tägliche Dauerbeschallung des Riesaer Rathauses mit diesem Titel wünsch ich mir, bis endlich wer re(a)giert, der stolz darauf ist, nicht unbedingt Deutscher, dafür aber Mensch zu sein und der „Keine macht den Nazis“ als einen Grundsatz seiner verwaltungspolitischen Arbeit sieht! Leider ist bei uns in Riesa wohl doch noch „täglich Kristallnaach“, auch wenn keine Schaufensterscheiben mehr eingeworfen werden.
Na ja, nach diesen Zeilen scheinen meine Chancen, Ehrenbürger der Stadt Riesa zu werden, wohl auch ins Bodenlose gesunken zu sein – aber was soll’s, wenn nichts mehr hilft, bewerbe ich mich einfach bei dem „Thor Steinar“-Laden auf unserer Riesaer Hauptstraße als Hausmeister und Reinigungskraft zur braunen Müllbeseitigung.
Oder ich schreibe weiterhin solche Kritiken – vielen Dank, BAP, dass ihr mir durch eure Musik und Texte die Chance dazu gebt!
FAZIT: Während dieses 6. Rockpalastauftritts von BAP war WIM WENDERS gerade dabei, seinen BAP-Film „Viel passiert“ zu drehen. Damit war der Kult-Status dieser ehrlichen Band endgültig besiegelt. Trauriger Höhepunkt dieser DVD ist wohl das Duett von WOLFGANG NIEDECKEN mit SHERYL HACKETT, in dem sie genau diesen Bob-Dylan-Titel (My Back Pages), der auch dem Film seinen Namen gab, gemeinsam singen: Niedecken die kölsche, Hackett die englische Version. Seit dem Jahr 2005 ist eine Wiederholung dieses Duetts leider ausgeschlossen. Liebe Sheryl, ruhe in Frieden und in der Hoffnung, dass man im Himmel nicht nach schwarz und weiß unterscheidet – „Maat et joot!“
Erschienen auf www.musikreviews.de am 27.05.2009
Werner Kopal
Wolfgang Niedecken, Sheryl Hackett, Helmut Krumminga, Michael Nass, Jens Streifling
Wolfgang Niedecken, Jens Streifling, Helmut Krumminga, Sheryl Hackett
Michael Nass
Jürgen Zöller
Sheryl Hackett (Percussion), Jens Streifling (Gebläse & Mandoline)
EMI Music
184:00
01.05.2009