„Denkt man an die Schweiz / Nicht nur in der Nacht / So ist man garantiert / Nicht um den Schlaf gebracht!“ (Frei nach Heine)
Die Schweiz steht für schöne Landschaften, ordentliche Politik, sozialen Fortschritt und ungeheuer zufriedene Menschen. Wofür steht die Schweiz eigentlich nicht? Für expressionistische Kunstformen, wie beispielsweise den Dadaismus, oder gute Musik – wobei wir auch schon über den Umweg von ZÜRI(ch) WEST vor den Toren von DADA ANTE PORTAS gelandet sind. Zwar weiß ich nicht, wie schwer oder leicht es ist, in der Schweiz mit einer „Goldenen Schallplatte“ (15.000 verkaufte Exemplare einer CD) geehrt zu werden. Aber für „The Theory Of Everything“ ist dies der Ehre wahrhaft zu viel.
Seit 1997 und vier Alben schreiben DADA ANTE PORTAS, mal mit Klammern [ANTE PORTAS], mal ohne Klammern, Schweizer Musikgeschichte. Territorial eine Größe, überregional nichts Anderes als ein kleiner Pups im internationalen Mainstream-Lüftchen solcher Musik, die alternativen Rock mit eingängigen Melodien und ein wenig stadiontauglichem Posergehabe vereint. LIVE oder REM oder die RED HOT CHILI PEPPERS oder THE HOOTERS machen sowas schon seit Jahren. Auch sind sie sehr erfolgreich damit. Doch kreative Musik sieht anders aus und hört sich anders an. Und vor allem entsteht sie nicht aus einem Grund, nämlich: „Was wir jedoch von Anfang an anstrebten, war internationaler Erfolg. Darum war es bereits zu Beginn klar, dass wir Englisch singen. Mit dem neuen Album war unser Ziel ebenfalls, aus der Provinz heraus zu kommen - auch wenn dies nicht besonders einfach ist!“ (Zitat aus einem Interview von „hitparade ch.“ Mit Lukas Schaller)
„Musik für die Massen“ ist also das Ziel der Schweizer, die ihren Namen aus einer Studienarbeit über den Dadaismus ihres Sängers Pee Wirz entlehnten. Doch bereits so ein Name täuscht über die Absicht der Musik hinweg. Der Dadaismus verstand sich nämlich als die reine Revolte gegen (klein)bürgerliche Kunstformen, er provozierte den Schönklang mit extremen Dissonanzen – „The Theory Of Everything“ ist dagegen nichts Anderes als eine eingängige Schönklang-Musik-Kombination von Pop und (Alternative-)Rock. Nichts wirkt an dieser Musik provozierend – außer vielleicht die unglaublichen textlichen Ausrutscher, die vielleicht etwas sarkastisch sein sollen, aber nur dümmlich wirken, was gleich im Opener des Albums mit dem „einfallsreichen“ Titel „I Just Wanna Dance“ bewiesen wird: „Somebody’s dropping bombs on an earthquake / And I just wanna dance – uh uh uh uh“. Nö, nö, nö – das ist „old shit again“ (ein weiterer Textauszug aus dem gleichen Lied). Nichts mit Dada, nichts mit Provokation. Hier stehen nur vier Schweizer vor der Tür und statt sie mit ihren Füßen und musikalischen Ideen einzutreten, klopfen sie vorsichtig an und warten darauf, von irgendwelchen wichtigen Leuten aus der Musikbranche eingelassen zu werden. Herzlich willkommen im britpoppigen und schmachtrockigen Mainstream, in dem schon so viele tote Fische mit dem Strom schwimmen. Revolte sieht anders aus und klingt vor allem anders als „The Theory Of Everything“.
Doch was soll ich dazu noch viel erklären, wenn die Musiker schon genügend Auskunft gegeben haben. Und dem ist wirklich nicht zu widersprechen. Lukas Schaller: „Wir haben nicht eine Theorie für die ganze Welt gefunden, aber wir haben eine Theorie für unsere Welt gefunden. […] Wir glauben, um einen geilen Song zu schreiben, braucht es vier Dinge: eine Gitarre, einen Bass, ein Schlagzeug und eine coole Stimme.“ Alles klar, wem das reicht, der wird Gefallen an diesem Album finden. Wer aber gewagte Kompositionen, ausgefeilte Arrangements, ungewöhnliche Klanglandschaften, ausgefallene Textideen oder mehr als ein dauerhaft den Rhythmus vor sich hertreibendes Schlagzeug hören möchte, der sollte nicht auf diese „Goldene Schallplatte“ zurückgreifen, auch wenn ein paar echte Ohrwürmer darauf zu finden sind. Nur leider gibt es viel zu wenige Titel wie „Another Promise“, „Taking Your Love“ oder die Ballade „Leave For Good“ auf dieser CD zu hören.
Einen besonderen Reiz soll wohl auch die Stimme von Pee Wirz ausmachen, die mal etwas zerbrechlich klingt, dann wiederum durchaus losrockt und in gewissen Momenten (Leave For Good) sogar deutliche Parallelen zu Hartmut Engler von PUR aufweist. Nur überzeugt mich selbst dieses Vokal-Argument nicht mehr, seitdem ich die CD des gänzlich unbekannten und keinerlei goldplattenruhmüberhäuften MARC ROUS aus Deutschland zum Besprechen bekam, die recht ähnlich wie die „Schweizer Theorie“ aufgebaut war, aber eben all das enthielt, was ich an „The Theory Of Everything“ vermisse. Es geht eben auch anders – und deutlich besser.
FAZIT: Wie sagt Lukas so schön: „Diese CD ist eigentlich ‚Everything’ von dem, was wir momentan zu bieten haben. Sie ist sozusagen die Formel für unsere Dada-Welt.“ Eine ziemlich langweilige, alternativ vor sich hinrockende Da-Da-Da-Welt. Die wohl mehr für’s Radio als für den wirklichen Musikliebhaber, der es auch mal etwas abwechslungsreicher mag, gemacht wurde.
Punkte: 6/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 28.09.2009
Pee Wirz, Luc Le Bo
Lukas Schaller, Luc Le Bo
Pee Wirz
Thommy Lauper
Fabio Trentini (Bass, Keyboards & Programmings), Arne Neurand (Percussion), Maik Schott (Hammond Orgel auf „Comfort Of Sadness”, Oberheim Solo auf „Mexico” & Wurlitzer Piano auf „Tick-Tock Attack”)
Gadget Records
44:22
05.09.2009