Es ist nicht leicht, bei DEEP PURPLE hinsichtlich der Diskographie die Übersicht zu behalten, schließlich gibt es von einer Band dieser Größe und derer Geschichte neben den eigentlichen Studiowerken unzählige Live-Alben, Compilations und Sonderauflagen. Gleiches gilt mittlerweile für die Filmographie der britischen Hardrocklegende, gerade durch die vielzähligen Live-Mitschnitte, die mittlerweile existieren. Darum nimmt man die Veröffentlichung einer neuen Purple-DVD auch erstmal recht nüchtern zu Kenntnis. Um so erfreulicher ist es dann aber, wenn sich ein Doppeldecker wie "History, Hits & Highlights '68 - '76" in Sachen bandgeschichtlicher Zeitreise als nicht weit von der Referenzklasse entfernt erweist.
Wie der Titel schon verrät, lässt man auf den beiden DVDs die 'erste Karriere' von DEEP PURPLE in Bild (4:3 Format) und Ton (Stereo 2.0) Revue passieren, also die Zeit vor der Trennung und der großen Pause, nach der es erst im Jahre 1984 zur Wiedervereinigung kam. Und das geschieht hier sehr umfangreich und mit fast fünfstündigem Filmmaterial, von dem man zwar vieles über die Jahre schon mal irgendwo gesehen hat, so einiges aber eben auch nicht.
Die erste DVD startet erstmal mit einer 20-minütigen Bilder-Story, die stichpunktartig durch die betreffenden neun Jahre mit den verschiedenen Besetzungen (die oft zitierten MK I - IV) führt, und fasst dabei quasi im Schnelldurchlauf den Rest der beiden DVDs zusammen. Eine gute Einstimmung also auf den folgenden, musikalischen Streifzug durch die frühe DEEP PURPLE-Geschichte.
Und der sollte dann selbst für einen Purple-Kenner noch ein paar Leckerbissen bereithalten, denn unter den diversen Fernsehaufzeichnungen, Live-Mitschnitten und gefilmten Interviews dürften so einige rare, zum Teil unveröffentliche Perlen zu finden sein. In chronologischer Reihenfolge darf man sich dabei an kompletten und bildlich aufgearbeiteten Song-Darbietungen von fast ausnahmslos Hardrock-Klassikern erfreuen.
Die ganz frühen Aufnahmen sind logischerweise besonders kultig. Von der ersten Besetzung, also noch mit Sänger Rod Evans und Bassist Nick Simper, finden sich drei Songs, und den Anfang macht die Schwarzweiß-Aufzeichnung der BEATLES-Coverversion "Help" von 1968. Auf dem Dach eines Hochhauses (vielleicht tut man auch nur so...) spielt das frisch zusammengefundene (bzw. zusammengestellte) Quintett die Nummer wesentlich langsamer als das Original, quasi als spacige Doom-Version und besticht zudem - aus heutiger Sicht, versteht sich - durch sein adrettes Outfit (noch mehr Beat statt Rock) und seine gewagte Frisuren (vor allem Ritchie Blackmore). Mehr Rock-Attitüde hat dann aber bereits die Erstversion von "Hush", das hier in Farbe aus dem Playboy-TV-Studio kommt. Mit einheitlicher Playmobil-Frisur (man möge mir die Lästerei verzeihen, aber lustig ist es schon - alleine Nick Simper ist eine Augenweide; die Klamotten von Rod Evans verschweig ich lieber mal) bringt die Band das Publikum immer mehr in Ekstase, hinter dem die Band zum Ende dann kaum noch zu sehen ist.
Danach gibt es noch (wieder in schwarzweiß) das instrumentale "Wring That Neck" aus dem Aufnahmestudio, bevor man sich bei der größten Spanne von 15 Songs der populärsten Besetzung - nach dem Beitritt von Ian Gillan und Roger Glover - widmet. Von "Hallelujah" bis zu "Smoke On The Water" folgt Hit auf Hit, zumeist aus Fernsehstudios (dabei auch Ilja Richters 'Disco' bei "Never Before") mit oft tanzendem, zum Teil entrücktem ("Mandrake Root"), aber auch mal gelangweilt rumsitzendem Publikum - was bei einem intensiven Jahrhundertsong wie "Child In Time" besonders grotesk wirkt. Dass man dabei bei DEEP PURPLE nicht selten Zeuge langer Instrumental-Passagen und intensiver Jam-Sessions wird, denen das ein- oder andere Mal am Ende die Instrumente und Boxentürme zum Opfer fallen, dürfte sowieso klar sein. "Speed King", "Strange Kind Of Woman" und "No No No" kommen hingegen als frühe Videoclips und bei "Smoke On The Water" geht es dann auch noch mal auf die Konzertbühne.
Dort geben nach der Trennung von Gillan und Glover dann auch David Coverdale und Glenn Hughes ihren Einstand, wobei "Burn" (mit leichten Qualitätsschwankungen) und das überlange "Mistreated" (vom "California Jam") die beiden einzigen Vertreter vom MK-III-Line-Up bleiben.
Und ebenfalls nur zweifach bedacht, mit den Live-Versionen von "Love Child" und "You Keep On Moving", wird die erste Epoche ohne Ritchie Blackmore. Die Aufnahmen mit seinem Nachfolger, dem Amerikaner Tommy Bolin, der bekanntlich schon bald nach der zu diesem Zeitpunkt nicht mehr fernen Bandauflösung den Drogentod fand, haben aber auch durchaus ihren Reiz.
Auf DVD Nr. 2 finden sich so einige unbekannte Perlen und so unterschiedliche Archiv-Spezialitäten wie ein Smalltalk und Gitarreneinweisung mit Hugh Hefner während der Aufzeichnung für Playboy-TV, eine fast halbstündige Jam-Version von "Wring That Neck" von einem Jazz-Festival 1969, selbiges noch mal kürzer und in Farbe aus Paris (ein Genuss für Blackmore-Fans), ein längeres Rehearsal für den Rockpalast von "No No No" und ein Auftritt der MK III mit zwischenzeitlich gesanglich recht schräger Performance von Coverdale/Hughes an der Uni in Leeds und inklusive ausführlicher Interviews, bei denen Ritchie Blackmore u.a. erklärt, warum er anders ist als die Anderen. Nach einer Doku aus dem neuseeländischem Fernsehen anlässlich eines Deep-Purple-Konzerts (inklusive weiteren Interviews; ein halbes Jahr nach Blackmores Ausstieg ist dieser noch Hauptthema), gibt dann noch Manager Tony Edwards kleine Geheimnisse über die Skandale des California Jam preis. Die Band gab es zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr - über ihre Auferstehung wird es aber gewiss auch noch einiges zu berichten geben...
FAZIT: Pflichtveranstaltung - für den Purple-Fan mal ganz bestimmt, aber auch für alle anderen, geschichtsbewussten Hardrocker.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 16.07.2009
Roger Glover, Nick Simper, Glenn Hughes
Ian Gillan, David Coverdale, Rod Evans, Glenn Hughes
Ritchie Blackmore, Tommy Bolin
Jon Lord
Ian Paice
Eagle Vision
287:00
26.06.2009