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Reviews

Dream Theater: Black Clouds And Silver Linings

Stil: Progressive Metal

Cover: Dream Theater: Black Clouds And Silver Linings

Vielleicht ist es an der Zeit, die Fan-Boy-Brille einmal abzulegen und mit etwas Abstand auf das Schaffen der New Yorker zu blicken, die vor genau 20 Jahren ihr Debüt-Album unter großem Wellenschlag veröffentlichten. Seit „Scenes From A Memory“ wollte kein Album mehr dauerhaft überzeugen und trotz zumeist wohlmeinender Kritiken konnte sich kein DREAM THEATER-Album mehr für richtig lange Zeit im CD-Player festbeißen.

Dabei waren Petrucci, Portnoy & Co. wirklich bemüht, ihren Hörern Abwechslung zu bieten. Von thrashiger Härte über moderne Experimente bis hin zur Rückbesinnung auf Melodie und Epik haben DREAM THEATER einiges versucht, sind nie dabei gescheitert, haben aber gleichzeitig auf hohem Niveau nichts Außergewöhnliches mehr komponiert. Der staunende „das können nur Dream Theater“-Ausruf kam nicht mehr über die Lippen. Nach dem Wechsel zu Roadrunner konnte „Systematic Chaos“ vielleicht als versuchter Befreiungsschlag gewertet werden, der aber aus der zeitlichen Distanz von zwei Jahren betrachtet auch kein Werk für die Ewigkeit darstellte.

Auch, wenn der ewige DREAM THEATER-Skeptiker nun die Augen verdrehen mag: „Black Clouds And Silver Linings“ ist richtig gut geworden. Besser als „Systematic Chaos“ und vor allem besser als alles, was nach „Scenes From A Memory“ kam. Wo vorher das Harte, das Epische, das Vertrackte zumeist nebeneinander existierte, wird auf dem neunten Album der New Yorker wieder alles in einen Topf geworfen und gekonnt verrührt.

„A Nightmare To Remember“ beginnt düster orchestral mit Horrorfilm-Chören und harten Akkorden (könnte fast von DIMMU BORGIR stammen). Was dann als relativ straighter Metal-Song weitergeführt wird, geht bald in einen ruhigeren Teil mit epischen, mehrstimmigen Gesängen über, bevor der obligatorische Frickel-Part losgeht (mit „Dance Of Eternity“-Variationen?). Geisterhafte Keys mit Portnoys Double-Bass-Gehämmer bringen den Song gelungen zu Ende. Ein komplexer, vielleicht ein wenig selbstverliebter Song. Dennoch Klasse!

„A Rite Of Passage“ konnte schon vorab heruntergeladen werden und dürfte einigen schon bekannt sein. Orientalische Einflüsse, hartes, einprägsames Riffing und ein LaBrie, der so dunkel und kräftig singt wie vielleicht nie zuvor. Dann wieder ein fingerbrechender Frickelpart, der richtig nach vorn prescht, weil Petrucci das Ganze mit einem treibenden Riff hinterlegt, was den Song live zu einer Abgehnummer machen dürfte. Nach futuristischen Rudess-Sounds kehrt der Song zum Refrain zurück als wäre nichts gewesen.

„Wither“ ist wieder eine typische DREAM THEATER-Halbballade, die dieses Mal aber berührender als sonst ausgefallen ist und nicht so einschläfernd wirkt, wie einst „Vacant“ und gleichzeitig das Melancholische und Epische unter einen Hut bringt. Petrucci zeigt am Ende, dass er sein gefühlvolles Spiel nach endlosen Shreddings in der Vergangenheit immer noch drauf hat. Gelungen, aber naturgemäß nicht spektakulär.

Kontrastprogramm. Ein hartes Metal-Riff, wieder mit orientalischen anmutenden Keys, bald unisono mit der Gitarre, leitet den letzten Teil von Portnoys Schluckspecht-Saga ein. Das Zitieren und Variieren der vorherigen Teile wird hier exzessiv und mit Härte betrieben. Portnoys Beinahe-Growls klingen zwar immer noch furchtbar, doch ist „The Shattered Fortress“ vielleicht sogar der gelungenste Teil von Portnoys Entziehungsgeschichte.

„The Best Of Times“ lässt (erstmal) durchatmen. Einsames Pianospiel leitet das Stück ein und wird alsbald von weinenden Streichern begleitet. Das unverzerrte Gitarrenspiel Petruccis tut gut (erinnert an sein „Hollow Years“-Solo). Dann ein harter Schnitt, flirrende Gitarrenläufe heben den Hörer in weite Himmelssphären, ein eingängiger Rhythmus macht gute Laune. LaBrie singt wunderbare Melodien, die „The Best Of Times“ vielleicht schon bald zu einem Mitsing-Klassiker im Live-Repertoire der Band machen könnten. Der symphonische Keyboard-Mittelteil leitet über zu einer relaxt-melancholischen Akustik-Passage und dann… und dann… und dann darf Petrucci endlich wieder nach so langer Zeit ein elegisches, melodisches, ergreifendes und gleichzeitig technisch anspruchsvolles Gitarrensolo ohne Geschwindigkeitsoverkill spielen, wie er es seit „Scenes From A Memory“ nicht mehr getan hat. Gänsehaut!

„The Count Of Tuscany“ ist mit 20 Minuten die längste Nummer des Albums und wird, was die Vielzahl an dargebotenen Melodien und Stimmungen angeht, dem Adjektiv „episch“ mehr als gerecht. Vertrackt und hart, progrockig verspielt und beim PINK FLOYD-Teil ergreifend gefühlvoll (besser als beim „Octavarium“-Titeltrack!). Die letzten vier bis fünf Minuten sind ein würdiges Finale für diesen Track, orchestral, aber nicht zu dick aufgetragen, wird hier gesanglich und solistisch großes Kino zelebriert.

FAZIT: Die Band scheint auf den Pfad der Tugend zurückzufinden. Ohne Fan-Bonus müssten die letzten DREAM THEATER-Alben sicherlich im Nachgang abgewertet werden, weswegen „Black Clouds And Silver Linings“ punktemäßig nur knapp vor den letzten Veröffentlichungen des Traumtheaters liegt. Das Messen von Musik an Punkte-Skalen ist sowieso Kinderkram, deswegen heißt es hiermit kurz und gut: DREAM THEATER haben schon lange nicht mehr so viel Spaß gemacht.

Punkte: 13/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 14.06.2009

Tracklist

  1. A Nightmare To Remember (16:10)
  2. A Rite Of Passage (8:36)
  3. Wither (5:25)
  4. The Shattered Fortress (12:49)
  5. The Best Of Times (13:09)
  6. The Count Of Tuscany (19:16)

Besetzung

  • Bass

    John Myung

  • Gesang

    James LaBrie

  • Gitarre

    John Petrucci

  • Keys

    Jordan Rudess

  • Schlagzeug

    Mike Portnoy

Sonstiges

  • Label

    Roadrunner Records

  • Spieldauer

    75:25

  • Erscheinungsdatum

    19.06.2009

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