GEOFF LEIGH, seines Zeichens Gründungsmitglied von HENRY COW, jener Band, die als einer der Ursprünge des „Rock In Opposition“ (kurz RIO) gilt und YUMI HARA, japanische Keyboarderin und Sängerin, nahmen „Upstream“ an zwei Tagen im September 2008 auf. Für HARA war es nicht das erste Projekt dieser Art, arbeitete sie doch bereits mit Hugh Hopper und David Cross zusammen. Dass sie unter dem Namen ANAKONDA recht erfolgreich als Drum’n’Bass-DJ auftritt, ist „Upstream“ nicht anzuhören.
Hier herrscht eine assoziative und improvisative Musiksprache vor, die gelegentlich bis an die Schmerzgrenze geht, und manchmal darüber hinaus. YUMI HARAS Stimmakrobatik, vor allem im fast elfminütigen „Dolphin Chase“ fordert viel Langmut vom weltoffenen Extremhörer. Das quietscht und klagt und zieht stimmlich blank. Wenig duldsame Menschen vermuten dann gerne eine Wurzelbehandlung ohne Betäubung hinter den Tönen; während GEOFF LEIGHS stakkatohaftes Saxophonspiel, den außer Kontrolle geratenen Bohrer markiert.
Dabei beginnt und endet es elegisch. LEIGH lässt die Flöte erklingen wie weiland PAUL HORN in der großen Pyramide. Na ja, ganz so viel Hall hat er nicht drauf, und Miss HARA hämmert vehement ins Klavier, wodurch sich Ruhe und Behaglichkeit zu keiner Sekunde einstellen wollen. Aber die Songs zerfasern nicht völlig, sondern sind als expressive Klangmalerei, zwischen experimenteller Musik und freiem Jazz, durchaus gelungen. Höhepunkt des Albums ist das zweite Stück „The Mountain Laughs“, in dem HARA das Klavier mit flächigen Orgelsounds vertauscht, und GEOFF LEIGH im Verbund mit seiner japanischen Kollegin, an seinen Kollegen David Jackson erinnert, den Ex(?)-VAN DER GRAAF GENERATOR Saxofon- und Flötisten.
Hier, wie während der anderen goutierbaren Momente, kommen Erinnerungen hoch an jene Flut von japanischen Geisterfilmen, in denen Mädchen mit langem schwarzen Haar aus Brunnen klettern, Gänge entlang robben, Wände hinab und hinauf kriechen, ihre leichenblassen Gesichter der Welt unheilvoll entgegen strecken, und ihre ebenso blassen Finger nach verängstigten Probanden eines nicht enden wollenden Alptraums ausstrecken. GEOFF LEIGH und YUMI HARA basteln den perfekten Soundtrack dazu. Doch je weiter das Album fortschreitet, desto mehr kommen Szenen ins Spiel, in denen die Geistermädchen, mal bösartig, mal furchtsam, ihre ungeschnittenen Fingernägel ausfahren und über Schiefertafeln kratzen. Wer derartige und ähnliche Klänge mag, wird an „Upstream“ bestimmt seinen Gefallen finden.
Mit Rockmusik (auch In Opposition) hat das Ganze natürlich überhaupt nichts zu tun.
FAZIT: Monjune Records möchten „Upstream“ gerne unter „(Canterbury) Avant-Garde, Jazz, Experimental“ eingeordnet sehen. Das geklammerte „Canterbury“ bezieht sich natürlich auf GEOFF LEIGH, doch dessen frühe Band HENRY COW konnte man bestenfalls durch ihre Einflussnahme auf HATFIELD AND THE NORTH (die Leigh als Gastmusiker beehrte) und NATIONAL HEALTH zum erweiterten Umfeld der Canterbury-Szene rechnen, aber traf schon damals nicht den Kern der Musik. Auf „Upstream“ trifft das noch weniger zu. Hier herrscht ein – zumindest scheinbar – improvisiertes Frage- Und Antwortspiel vor, das sich hauptsächlich zwischen LEIGHS Flöten und Saxophontönen und YUMI HARAS Keyboardklängen und Vokaleskapaden abspielt. Wer den radikaleren Bereichen der Musik nicht weit offene Ohren widmet, wird vermutlich konstatieren, dass manche Frage nicht gestellt werden müsste, und die Antworten darauf auch unergiebig bleiben. Oder um es anders auszudrücken:
Er: „Hey, wollen wir noch ein bisschen Spaß haben?“
Sie: „Alter, du nervst“!
Erschienen auf www.musikreviews.de am 12.10.2009
Yumi Hara
Yumi Hara
Geoff Leigh
Moonjune Records
59:09
17.07.2009