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Ichor: The Siege

Stil: Progressive Death Metal

Cover: Ichor: The Siege

Es gibt da eine Disziplin, in der haben die deutschen Newcomer ICHOR die landsmännischen Grindcore-Veteranen BLOOD bereits geschlagen. Blut ist nämlich menschlich - ICHOR ist göttlich. So nennt man in der griechischen Mythologie jene Substanz, die den Göttern anstatt des roten Lebenssaftes durch die Adern fließt.

Entsprechend führen auf dem Cover Schläuche weg vom “Corpus Dei” eines gesichtslosen Wesens in Triumphpose, embryonale Körper in abstrusen Frankenstein-Geräten mit seinem Nektar nährend, vor futuristischem Hintergrund platziert. Mit ihrem Debüt vollführen die Trierer einen Spagat zwischen Traditionsbewusstsein - nicht verwunderlich, wo Trier doch die älteste Stadt Deutschlands ist - und Fortschrittlichkeit, ein Muster, das sich auch in der Musik fortsetzt.

ICHOR musizieren beinharten Death Metal, fügen ihrem Sound jedoch eine deutliche Note von Progressivität hinzu. Obwohl keiner der Songs die 5-Minuten-Marke knackt und die Gesamtlaufzeit nicht mehr als 37 Minuten aufweist, dehnen unzählige Strukturwechsel und Breaks den Erlebnisfaktor auf die doppelte Länge, wenngleich leider der Affe fehlt, der die brillanten Einzelteile zu einem funktionalen Konzept sortiert.

Als die Platte mit “Suffocate in Ecstasy” wild einleitet, könnte man “Ichor” noch für “Igor” halten, weil ein schmieriges Geschöpf in Frankensteins-Helfer-Manier ein stöhnendes “Uääh, uääh, it’s breakfast time” erklingen lässt. Man merkt, so ganz ernst wird sich hier nicht genommen. Gefolgt von hohen Screamings und tiefen Growls, begleitet von pfeffernden Blastbeats, pfeilschnellen Taktwechseln und plötzlichen ausladenden Gitarrensoli wird man aber das Gefühl nicht los, dass hier bei allen humoristischen Anflügen keine Gefangenen gemacht werden sollen.

Auch weiterhin überschlägt sich “The Siege” mit Ereignissen. Vorangetrieben insbesondere durch das dominante Drumming prügelt sich die Combo von einem Kracher zum nächsten. Keiner langweilt auch nur für 50 Cent. Im Gegenteil hat man manchmal das Gefühl, man wird von dem Überangebot an Abwechslung erschlagen. Auch vor Tempospielereien wird nicht halt gemacht; immer wieder wird man heruntergedrosselt, ganz so als biege man von der Autobahn ab direkt in eine 30er-Zone. Die Gitarren verzerren sich in diesen Momenten zu knautschenden Zitronen, als rebellierten sie wütend gegen die Langsamkeit - sehr schön zu hören auf “Man Without A Face”.

In all dem Irrsinn ist allerdings keine rote Linie zu erkennen. Hat man den Höllentrip einmal hinter sich gebracht, schmettert einem nur ein Gedankengang durch die Hirnrinde: “Moment, wie war das noch gleich?” und prompt wird die Repeat-Taste betätigt. Hier greift das menschliche Verhaltensmuster, unbedingt wiederholen zu müssen, was beim ersten Mal nicht ganz begriffen wurde. Die weiteren Durchläufe zeigen dann aber, dass man kein großes Ganzes verpasst hat, das sich durch mehrfaches Hören zusammensetzen würde wie ein 3D-Motiv durchs Schielen auf die Bildmitte. Es bleibt beim Genuss der Einzelfragmente.

FAZIT: Den Schmackes haben ICHOR gepachtet, die technische Versiertheit auf dem Instrumental- und Growlsektor ebenfalls, dazu ein überdimensionales Bündel an Ideen, Spielfreude und den Mut zur Selbstironie - das sind Zutaten für ein ganz hervorragendes Album, das “The Siege” allerdings nur in Ansätzen ist. Die Krankheiten eines Debüts schimmern noch zu sehr durch: Überambitioniertheit, Ehrgeiz und der Wunsch, ein Riesending abzuziehen. Am Ende blockieren sich die Ideen gegenseitig. Übrig bleibt ein immer noch verdammt kurzweiliges Death Metal-Album und eine Band mit gewaltigem Potenzial - nach oben, in die Wolken hinein.

Punkte: 10/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 02.06.2009

Tracklist

  1. Suffocate In Ecstasy
  2. Beyond The Black Gates
  3. Man Without A Face
  4. Cut Off Their Limbs
  5. Arrival
  6. The Siege
  7. A Tiny Flavour Of Hatred
  8. Caught In Deathmachine
  9. Hypocrisy
  10. This Is My Will To Kill

Besetzung

  • Bass

    Chris

  • Gesang

    Eric

  • Gitarre

    Alex

  • Schlagzeug

    Dirk

Sonstiges

  • Label

    Bastardized Recordings

  • Spieldauer

    36:50

  • Erscheinungsdatum

    19.06.2009

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