Polen ist wieder wer! Seit einigen Jahren ist auf der Proglandkarte in dieses Fleckchen Erde eine Flagge von gewaltigen Ausmaßen gerammt. Daran haben selbstverständlich RIVERSIDE den größten Anteil, doch eine Band alleine vermag nicht die Flagge eines ganzen Landes aufzurichten. Dass man sich wirklich traute, Polen allgemeingültig als Garant für qualitativ hochwertigen und atmosphärischen Prog auszuweisen, daran hatte im Jahr 2004 ein Album ganz besonderen Anteil, nämlich “S.U.S.A.R” von INDUKTI.
Veredelt mit RIVERSIDE-Frontmann Mariusz Duda als Gastsänger auf drei Songs, bot der instrumentale Fünfer auf seinem Debüt eine Mischung, die wie Blut im Mund schmeckte: metallisch und bittersüß. Die Nähe der Riffs zu TOOL war unverkennbar, jedoch in der Präsentation mit deutlich mehr Power und Groove vorgetragen. Und heimlicher Star war kein Musiker, sondern ein Instrument: Ewa Jablonskas Violine nämlich, die dem Sound seine unverkennbare, exotische Marke verlieh.
Was einem erst bewusst wurde, wenn man sich mit einem Nachfolger beschäftigte: “S.U.S.A.R.” war eine ganz fiese Falle. Der Kritiker hätte die Polen nur allzu schnell auf den charakteristischen Sound der auf harte Gitarren stoßenden Violinenklänge festgenagelt, und prompt wäre man in der kreativen Sackgasse verendet, zumal manche Kritiker, wenn es denn mal was zu mäkeln gab, sich auf die Gleichförmigkeit der Songs einschossen.
Mit diesem Hintergrund ist “Idmen” nichts Geringeres als ein Meisterwerk. Gar nicht mal sind es die Kompositionen oder irgendwelche zwanghaften Neuerungen, die den Zweitling zu einem solchen werden lassen, es ist die Art und Weise, wie sich INDUKTI von seinen Markenzeichen löst und sich auf einmal als Werkzeug versteht. Die Band tritt als simple Funktionseinheit in den Hintergrund und verschafft der Musik selbst durch diesen genialen Schachzug eine Bühne.
Essentiell für diesen Schritt ist die Entscheidung, diesmal gleich drei Gastsänger zu verpflichten - und überhaupt weiter an dem Gastsänger-System festzuhalten. Weil Mariusz Duda auf “S.U.S.A.R.” der einzige Gast war, klang automatisch das gesamte Album ein Stück weit nach RIVERSIDE. Auftritt “Idmen”: Wenn SLEEPYTIME GORILLA MUSEUM-Animal Nils Frykdahl dem Song “Tusan Homichi Tuvota” nun mit seiner Growl-, Grunz- und Sangesleistung im Namen seiner Hauptband vollends seinen Stempel aufdrückt, realisiert man erstmals, dass INDUKTI keinesfalls bloß eine fette Mischung aus RIVERSIDE und TOOL verkörpern. Stattdessen bieten sie ein schillerndes Fundament, das dank äußerer Einflüsse - den Gastsängern eben - in eine feste Form gebracht wird.
Die Leistung der Polen besteht nun darin, die richtigen Leute für ihre Stücke an Land zu ziehen. Vergleichbar mit einem Computerprogramm, das auf spezielle Funktionen hin programmiert wird, wissen die Progmetaller den Kollegen Nils Frykdahl, Maciej Taff (ROOTWATER) und Michael Luginbuehl (PRISMA) die Stücke auf den Leib zu schreiben. Die Konsequenz besteht darin, dass “Idmen” im Gegensatz zu “S.U.S.A.R.” ein durch und durch heterogenes Album voller schillernder Gegensätze geworden ist. Die TOOL-Einflüsse schimmern (nicht zuletzt dank Michael Luginbuehl, dessen Band ohnehin als direkter Nachkomme von TOOL gilt) zwar immer noch durch, genauso wie eine Art von neuem polnischen Subgenre “Atmo-Prog”, doch ansonsten ist alles anders als zuvor.
Als “Sansara” mit Wall-of-Sounds der Marke NEUROSIS und ISIS eröffnet, ist bereits klar, dass dieses Album anders aufzunehmen ist als der Vorgänger: Entblättert werden möchte es. Nicht von ungefähr dürfte es so kommen, dass der erste Durchlauf einigen Fans von “S.U.S.A.R.” die Enttäuschung auf die Stirn schreiben wird, die sich dann aber langsam in schleichende Begeisterung verwandeln sollte.
Die Violine derweil ist zwar nicht verschwunden, teilt sich ihren Platz aber unter anderem mit dem Einsatz eines Hammered Dulcimer (auch bekannt unter dem griffigeren Namen “Hackbrett”) und einer Trompete - zwei Instrumente, die wahrscheinlich nicht ganz zufällig auch in Nils Frykdahls Band schon zur Anwendung kamen. In seiner Basis gibt sich der Sound durchgängig atonaler und polymetrischer als bisher; ungerade 5/4-Takte lassen deutlich an MESHUGGAH denken.
FAZIT: Die fünf Jahre Wartezeit seit dem Erstling machen sich in jeder Sekunde bezahlt. “Idmen” überzeugt mit dem ebenso einfachen wie genialen Konzept, auf die Einflüsse wechselnder Gastbelegschaft zu vertrauen, und rehabilitiert damit rückwirkend sogar noch die wenige negative Kritik, die dem bereits sehr gelobten Vorgänger zuteil wurde. Abwechslungsreicher und vielschichtiger als dieser, musizieren sich INDUKTI mit dem unverbrauchten Werkzeug-Prinzip in die ProgMetal-Oberklasse. Wäre die TOOL-Ehrdarbietung mit Michael Luginbuehl auf “Nemesis Voices” etwas dezenter ausgefallen, wäre womöglich sogar die volle Punktzahl und der Titel “Instant Classic” drin gewesen.
Punkte: 14/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 23.07.2009
Andrzej Kaczynski
Nils Frykdahl, Maciej Taff, Michael Luginbuehl
Piotr Kocimski, Maciej Jaskiewicz
Wawrzyniec Dramowicz
Ewa Jablonska (Violine), Piotr Kocimski (Saz), Unbekannt (Trompete, Hackbrett)
InsideOut Music / SPV
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24.07.2009