Es überrascht mich immer wieder, wie wenig Anerkennung talentierte Bands in der heutigen Musikbranche bekommen. Und damit meine ich nicht mal den, von Popschmonzetten verblendeten Mainstream-Markt, sondern die im Grunde recht anspruchsvolle Progressive Rock-Hörerschaft.
„Episodes“, das mittlerweile dritte (!) Album der kanadischen Instrumentalband KARCIUS, gehört für mich zu eines der Glanzalben im Progjahr ´08 – und das, obwohl wir bereits 2009 schreiben. Immer, wenn ich „Episodes“ höre, muss ich verständnislos den Kopf schütteln, wie es eine komplette Fangemeinde fertigbringen konnte, ein solches Juwel zu verschmähen.
Das Album beginnt dabei sehr schön mit einer 30 minütigen, dreiteiligen Suite, „Éléments“. Hier präsentieren die vier Kanadier gleich zu Anfang ihr volles Repertoire. Die Musik von KARCIUS lässt sich am besten als eine Abwandlung der jazzig-progressiven Instrumentalorgien von Bands wie PLANET X, CITRINITI oder SPACED OUT beschreiben.
Doch halt! Wer seine Ohren bewusst von den Griffbrettwichsereien oben genannter Bands abwendet, sollte bei KARCIUS die Lauscher aufsperren. Deren Sound ist nämlich deutlich eklektizistischer und interessanter, als das oft seelenlose Gefrickel sämtlicher Progmetal-Truppen. Die Kanadier agieren nämlich mit einem wunderbaren Gefühl für Melodien und Harmonien, die relativ gut ins Ohr gehen. Einflüsse aus so unterschiedlichen Bereichen wie Hardrock, Reggea, Salsa, Psychedelic und – ganz besonders – traditionellem Jazz geben den Songs einen faszinierenden Abwechslungsreichtum... Ungeschicktes Aneinanderreihen von Klischees kann man glücklicherweise verhindern. Dafür sorgt der allgegenwärtige, leicht groovige Jazzrock, der nette Kontrapunkte zum wahnwitzigen, jederzeit aber leicht nachvollziehbaren Instrumentalprog bietet.
Das Erstaunlichste an „Episodes“ ist aber die Tatsache, dass die Jungs nicht nur spielen wie die Weltmeister, sondern dabei immer am Boden der Rocktatsachen bleiben und durch die ausschließliche Verwendung eines einfachen, vollen Pianosounds quietschige Synthesizerspielchen geschickt umgehen. An KARCIUS kann man eben sehr schön sehen (oder besser hören), dass man keine Keith Emerson-Keyboardtürme braucht, um atmosphärische, gute Musik zu machen.
Wie schon vorhin besprochen, ist der Opener gleich das Kernstück des Albums. Ein „epischer“ Longtrack aus drei Teilen, in dem Reminiszenzen von DREAM THEATERs „Octavarium“-Epos mit vertrackten Jazzpassagen und hymnischen Gitarrensoli verwoben werden. „Incident“ ist heißer, südamerikanischer Salsa, der in Verbindung mit den treibenden Progeinschüben etwas an „THE MARS VOLTA meets TAAL“ erinnert. Der folgende Track „Levant“ ist ein hübsches Pianosolo ohne Tricks und doppeltem Boden. Klingt ein wenig wie Rick Wakeman unplugged. „Purple King“ beschwört wieder die alte Schule des Progmetal herauf. Nach einem ruhigen Intro lassen wieder Bands wie DREAM THEATER oder PAIN OF SALVATION grüßen. „Racines“ beschließt das Album mit herrlich verschwurbeltem Reggae, der zusammen mit drogengeschwängerten Halleffekten etwas an die OZRIC TENTACLES erinnert.
FAZIT: Es ist eine Schmach für die gesamte Proggerschaft, so ein Album einfach unter den Tisch zu kehren. „Episodes“ von der bisher besten, aber unentdeckten Instrumentalprog-Band KARCIUS ist ganz klar eine Offenbarung. Zwar fehlt der Gesang, aber niemand käme bei solchen Granaten wie „Éléments“ oder „Purple King“ auch nur auf die Idee, dergleichen zu vermissen. Die Herren Blouin, Brodeur, L’Ésperance und Sauriol sind Könner auf ihren Instrumenten und zeigen, trotz der vertrackten, jazzigen Kompositionen, eine Sensibilität für die Musik, wie man sie in solchen Bereichen leider oft vergeblich sucht. Das Album klingt dabei auch zu keiner Zeit kitschig oder überbordend. Die Gratwanderung zwischen Virtuosität und interessanten Songs, extremer Fusion-Parts und bodenständigem Jazz gelingt auf „Episodes“. Ganz großer Tipp!
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 05.02.2009
Dominique Blouin
Simon L’Ésperance
Mingan Sauriol
Thomas Brodeur
Unicorn Digital
58:24
19.09.2008