Zurück

Reviews

Kataya: Canto Obscura

Stil: Geheimnisvolle, weltmusikalisch-progressive Klänge aus den Tiefen des finnischen Waldes

Cover: Kataya: Canto Obscura

Wir befinden uns in Finnland.
Irgendwann im Jahr 2005.
Drei Musiker hocken zusammen und schauen aus dem Fenster. Durch den Nebel und den trüben Nieselregen sehen sie einen seltsamen Baum, der in seiner Erscheinung etwas Gespenstisches hat. Durch das spaltweit geöffnete Fenster dringt der leise Klang eines sich im Wind bewegenden Glockenspiels. Irgendwie zieht der geheimnisvolle Baum die Blicke der drei Männer auf sich. Und hinter dem Baum erstreckt sich, ein wenig abseits, der finnische Wald. „Kataja“ (die finnische Bezeichnung für „Baum“) bewegt seine Blätter unbeeindruckt im Wind. Das irritiert die drei, deren Kunst die Ohren der Anderen erreichen soll. Darum ist für sie der Klang so wichtig. Selbst an Kataja stört sie ein Buchstabe – das „j“ klingt nicht, ein „y“ hat mehr Klang: KATAYA, genau, das passt! Und „Canto Obscura“ steigert diesen Eindruck noch mehr: „Unbekannter Klang“. Das wäre doch wirklich ein großartiger Titel für ein großartiges Album! Nur leider existiert noch keine Musik dafür.

Die drei Musiker sind bedrückt. Ihnen fehlt noch immer die zündende Idee für das, was sie vorhaben: gemeinsam Musik zu machen, ein Album aufzunehmen, das anders klingt als die Musik ihrer Vorbilder, aber trotzdem deren Atmosphäre auf den Hörer überträgt. Zum x-ten Mal legen sie die Platten auf, die sie lieben und die neben großen Bekannten, auch weniger Bekannte, aber ebenso faszinierende Musiker erklingen lassen. PINK FLOYD „Animals“ oder MIKE OLDFIELD „Incantations“ rotieren ebenso auf dem Plattenteller wie die weniger bekannten Polen von SBB oder der Deutsche MICHAEL ROTHER von NEU! sowie TANGERINE DREAM und ASHRA. Auch die üblichen Verdächtigen, wie PORCUPINE TREE oder CARAVAN, erklingen, neben doch untypischerer Musik, die man aus Filmen kennt. „Spiel mir das Lied vom Tod“ zum Beispiel oder JEFF WAYNEs „War Of The Worlds“. Sogar JAN GARBARECK oder KENNY G bekommen eine Chance. Und hat man mal keinen Bock auf Musik, dann wird gelesen. Natürlich TOLKIENs „Herr der Ringe“!

Egal was auf dem Plattenteller läuft, das ist die Musik der Anderen. Finnen sind dagegen sehr eigen. Sie wollen eben was Eigenes, nichts Austauschbares, den „Canto Obscura“ eben.

Fast drei Jahre werden noch in das bedächtige, tiefgründig-ruhige (Finn)Land gehen, dann ist es vollbracht. „Canto Obscura“ trägt die Musik in sich, die dem Namen des Studios, in dem sie entstand, alle Ehre macht: Perfect Sound Studios. Und die vor allem das Gefühl wiedergibt, welches uns überkommt, wenn wir durch den Nieselregen und einen nebligen Vorhang auf jenen geheimnisvollen Baum und den sich dahinter gespenstisch erstreckenden Wald blicken.

Dieser Blick war der Anfang von „Canto Obscura“. Ein Album, das laut KATAYAs Aussage als Inspiration auf den finnischen Wald in seiner Tiefe, Unberührtheit und Mystik zurückgreift. Hier spielen sich zwischen den Gehölzen die wundersamsten Geschichten und Legenden ab. Hier wohnen nie entdeckte Lebewesen, die alle eine eigene Geschichte in sich tragen – und einige dieser Geschichten sollen durch die Musik von KATAYA zum Leben erweckt werden. In einem Studio mit großem Fenster und freiem Blick auf einen tiefen, gänzlich unberührten Wald. Hier fühlt man sogar über seine Ohren die Natürlichkeit des hohen Nordens und der skandinavischen, ein wenig träumerisch-traurigen Stimmung. Hier hat die Natur noch etwas Religiöses, was man anbetet und achtet, und die Kirche ist nicht ein Haus aus Stein, sondern der Wald. Unentdeckt schlummert er in den Tiefen der unberührten Natur vor sich hin und wird als Heiligtum von den Finnen verehrt, während wir Mitteleuropäer, statt in den Wald zu gehen und dort zu beten, die Steinhäuser für unsere Gebete betreten und dann guten Gewissens und mit einer rosenbekranzten Beichte im Rücken die Zerstörung unserer Wälder fortsetzen. Solche Geschichten erzählt uns „Canto Obscura“, selbst wenn dieses Album größtenteils instrumental gehalten ist.

Kristallklare Töne, eingeleitet durch einen zarten, an eine Spieluhr oder ein Windspiel erinnernden Klingklang, entweichen den Lautsprecherboxen und erfüllen den Raum mit klangvollem Volumen, das auch den zehnten Hördurchgang noch zu einem wahren Erlebnis werden lässt. Was aber ist das Besondere an dieser Musik? Ist es dieses Charisma, das ihr innewohnt und jeden Titel anders erscheinen lässt, die eine oder andere Erinnerung weckt, aber eine eindeutige Zuordnung zu den Bands, die Matti, Sami und Teijo so gerne hören, einfach nicht zulässt? Oder ist es vielleicht dieses typisch finnische, sprich skandinavische, Lebensgefühl, welches sich beim Hörer, sowie er die CD in seinen Player geschoben hat, breit macht? Irgendwie trifft wohl beides den hölzernen Nagel auf den Kopf.

Schon der „Opening Marsh“ beginnt, als hätten MÚM versucht, MIKE OLDFIELD dazu zu überreden, bei ihnen mal Gitarre zu spielen. Manchmal scheint hinter dem einen oder anderen Baum ein kleines Männchen hervorzublinzeln, das längst nicht mehr unter uns weilt. Es hat sich aus dem Staub gemacht und wir dachten immer, es säße auf einer Wolke beim lieben Gott. Oh nein, es hat sich wohl samt seinem GONG in die finnischen Wälder verdrückt und heißt PIERRE MOERLEN. Allerdings klingt es nicht genauso wie PIERRE MOERLEN’S GONG – nein, nein und nochmals nein – es schiebt sich einfach nur als kleine Erinnerung in das musikalische Lebensgefühl von uns aufmerksam zuhörenden Waldschraten.

Genauso verhält es sich mit all den Anderen, über die wir bereits in dieser Kritik etwas lesen konnten, als der Plattenspieler noch heiß lief. Sie sind in der Musik anwesend, aber mehr im Geist des Hörers als in den Noten, die uns über die Lautsprecher – oder noch besser – Kopfhörer erreichen. Doch egal, wann und wie uns diese Musik an wen auch immer erinnert, sie trägt den Klang des finnischen Waldes, der erhaben sein Leben genießt, weil er verehrt statt bedroht wird, in sich. Die Musik ist der „Canto Obscura“ dazu – für einen Film über finnische Bäume, der nie gedreht wurde.

FAZIT: Als Hörer dieses Albums fühlt man sich ein wenig wie „Hänsel und Gretel“ in einem Märchen. Die böse Stiefmutter und der gutgläubige, aber hörige Vater setzen uns im tiefen, dunklen Wald aus, damit wir für immer aus ihrer Welt verschwinden. Doch statt in ihm unterzugehen, entdecken wir dort ein wundervolles Lebkuchenhaus, das von den unterschiedlichsten Glasuren überzogen wird. Noch faszinierender aber ist, dass in diesem Haus keine böse Hexe auf uns wartet. An ihrer Stelle sind drei Musiker und ein paar hochkarätige Gastmusiker getreten, die uns bereitwillig die Tür öffnen und einlassen. Wir haben mitten im Wald eine neue, bessere (Musik-)Welt für uns entdeckt.

Punkte: 13/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 20.09.2009

Tracklist

  1. Opening Marsh
  2. Lento
  3. Ahava
  4. On A Moose
  5. Valaistu
  6. Putkivaara
  7. Avojaloin
  8. Canto Obscura
  9. Mindfrost
  10. Karahka
  11. Lento Reprise
  12. Koera

Besetzung

  • Bass

    Sami Sarhamaa, Teijo Tikkanen

  • Gesang

    Matti Kervinen, Johanna Iivanainen, Sanna Tikkanen

  • Gitarre

    Teijo Tikkanen, Sami Sarhamaa, Mikko Iivanaianen, Samu Wuori

  • Keys

    Matti Kervinen, Teijo Tikkanen, Sami Sarhamaa

  • Schlagzeug

    Teijo Tikkanen, Sami Sarhamaa

  • Sonstiges

    Linda Fredriksson (Saxophon), Samu Wuori (Orgel)

Sonstiges

  • Label

    Nordic Notes / Presence Records

  • Spieldauer

    47:28

  • Erscheinungsdatum

    29.04.2009

© Musikreviews.de