Alte, ganz alte Bekannte sind MARTIGAN, mit denen der Autor dieser Zeilen ein paar nostalgische Erinnerungen verbindet, weil das Vorgänger-Album „Man Of The Moment“ eines der ersten Alben war, über welches dieser besagte Schreiberling eine holprig formulierte Kritik verfasst hatte. MARTIGAN haben alle Zeit der Welt, denn seit ihrem letzten Lebenszeichen sind schlappe sieben Jahre vergangen – an der stilistischen Ausrichtung der Band hat sich aber nichts geändert, denn die Deutschen frönen immer noch hemmungslos dem melodieverliebten, ausufernden Neo Prog, den Bands wie MARILLION und IQ geprägt haben.
In der selbst verfassten Promoinfo heißt es unter anderem: „Unser Ziel war, ein extrem abwechslungsreiches Album zu machen, das Eingängigkeit und Komplexität mit einer ungewöhnlichen Selbstverständlichkeit verbindet“. Desweiteren noch: „Durchdachte Songstrukturen, schöne und eingängige Melodien, komplexe Arrangements, Groove, viel Gefühl und Atmosphäre … und das alles in einer Produktion, die auch hohen Ansprüchen an Klang und Detailverliebtheit gerecht wird“. Nun ist es zutiefst fragwürdig, solche Promo-Sätze zu zitieren, außer vielleicht zu satirischen Zwecken, aber in diesem Falle sind MARTIGAN nicht dem Größenwahn verfallen, sondern verkünden ganz einfach die Wahrheit.
Sänger Kai Marckwordt klingt immer noch wie eine Mischung aus FISH und Phil Collins, was aber gar nichts Schlechtes heißt, weil sich diese Stimmlage perfekt eignet, die ausufernden Melodie-Epen in ein angemessenes Klangkostüm zu verpacken. Wie es sich für den Neo Prog geziemt, ist „Vision“ stark keyboardlastig, wobei aber keine käsige oder gar unterkühlte Atmosphäre aufkommt. Die Tastenarbeit ist geschmackssicher (ein paar Fanfaren-Sounds sind hingegen sicher streitbar) und immer wieder von zünftiger Gitarrenarbeit hinterlegt, deren Riffing stellenweise knallhart rüberkommen könnte, wenn der Sechssaiter nicht recht weit in den Hintergrund gemischt wäre. Eingängige Refrains halten die teils überlangen Stücke schlüssig zusammen, während herzerwärmende und erfreulicherweise unkitschige Gitarrensoli die Seele zum Schwingen bringen. MARTIGAN beherrschen die poppigen Songs („Craze This Town“), die atmosphärischen Nummern („Snapshots“), die pompösen Dramen („Touch In Time“) und die breit angelegten Epen („Boatman’s Vision“, „The Contract“) in einer Perfektion, die wirklich beachtenswert ist. Als Anspieltipp sei das knapp 11minütige „Red & Green“ genannt, das Abwechslungsreichtum und spielerische Klasse mit einem unwiderstehlich beschwingten Rhythmus verbindet, der an QUEENs „You Don’t Fool Me“ erinnert.
FAZIT: Der Neo Prog muss sich von seinen Hassern viel Böses anhören. MARTIGAN entkräften die häufigsten Vorwürfe wie Kitschigkeit und käsig-plakative Keyboardlastigkeit, ohne auf Genre-Standards zu verzichten. Die sieben Jahre Pause seit „Man Of The Moment“ waren es Wert: „Vision“ ist ein riesiges Highlight im melodiösen Prog Rock geworden, das Gefühl, Rhythmus, Komplexität und Atmosphäre in kurzweilige 80 Minuten gießt. Höchster Respekt!
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 17.02.2009
Kai Marckwordt, Alex Bisch
Björn Bisch, Kai Marckwordt
Oliver Rebhan
Alex Bisch
Floh Dur
79:13
17.02.2009