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Mastodon: Crack The Skye

Stil: Progressive Metal

Cover: Mastodon: Crack The Skye

Mastodonten müssen damals, als sie im Tertiär und Quartär auf der Erde gegrast haben, von beeindruckender Erscheinung gewesen sein. Und dicke Eier müssen sie gehabt haben.
So gesehen waren vor allem “Remission” und “Leviathan” perfekte musikalische Entsprechungen des ausgestorbenen Tieres, das der Band ihren Namen leiht, auch wenn sich “Leviathan” eher mit einem Fabelwesen beschäftigt, das dem weißen Wal ähnelt. Der schwerfällige Sound, wenn auch immer um Komplexität bemüht, brachte die Erde aber stets zuverlässig zum Beben, so wie der T-Rex das Wasserglas in “Jurassic Park” zum Tanzen brachte. Man konnte die Uhr danach richten, dass die gewaltigen Sludge- und Death Metal-Einflüsse sich durchschälen und eine wilde Mastodon-Stampede entfesseln würden, bevor eine akustische Ballade das Kinde zum Abschluss lieblich in den Schlaf wog.

Wenn man danach geht, könnte “Crack the Skye” so manchem Fan der ersten Stunde den Tag vergrätzen. Dem Mastodon sind nämlich Flügel gewachsen. Wie Ikarus schwingt es sich in die Lüfte und lässt allenfalls die mathematischen Spuren der Flugbahnberechnung als musikalischen Genuss zurück, eine Symphonie des Progressiven, doch die Erdbeben des Aufstampfens, der harte Kontakt der baumstammförmigen Gliedmaßen mit dem Erdreich, bleibt aus.
Übersetzt bedeutet das: Der musikalischen Gleichung wurden die Hardcore-Wurzeln weggekürzt, über bleibt fast hundert Prozent klarer Gesang und dissonante Progressive-Klänge, die ein Gemisch aus TOOL und KING CRIMSON atmen. Unter Berücksichtigung des bisherigen Vermächtnisses der Band kann vor allem ein aktuelles Album zum direkten Vergleich herangezogen werden: CYNICs “Traced in Air”. Damit wird man dem von Brendan O’Brien verwendeten Produktionsstil schon gerecht.

Nach “Remission” (Feuer), “Leviathan” (Wasser) und “Blood Mountain” (Erde) ergänzt das vierte Album die Elementsammlung um den Äther, und plötzlich ist es nur noch folgerichtig, dass MASTODON so viel zugänglicher (nicht zu verwechseln mit: einfacher) geworden sind. Wer genau hingehört hat, konnte den Trend ohnehin schon bei “Blood Mountain” zwischen den Zeilen ablesen. Das Storykonzept ist diesmal eine wahnwitzige Kollektion von Symbolen und Metaphern: Ein verkrüppelter Mann schwebt per Astralreise ins Weltall, wo er seine goldene Nabelschnur an der Sonne verbrennt, in ein Wurmloch fällt, mit helfenden Geistern in Kontakt gerät, die ihn in den Körper von Rasputin, einem Mitglied einer russisch-orthodoxen Sekte stecken, dessen Körper bald ermordet wird, woraufhin Rasputin und der verkrüppelte Mann durch einen Riss im Himmel entfliehen. Schon die Doppeldeutigkeit des Albumtitels (“Skye” bedeutet nicht nur “Himmel”, sondern steht auch für den Namen der verstorbenen Schwester des Schlagzeugers) zeigt, dass man gut beraten wäre, einen offenen Geist mitzubringen, möchte man sein Gehirn nicht schon im Voraus gesprengt haben - das wäre zu schade im die exzellente Musik.

Wenn man sich nämlich von den Hardcore-Wurzeln lösen kann, so erlebt man MASTODON vielleicht schon jetzt auf dem Zenit ihres Schaffens.
“Oblivion” nähert sich als Opener trotz aller Anzeichen beim ersten Mal mit Überraschungseffekt. Nach wie vor wird Metal gespielt, aber die Riffs sind zugänglich geworden, der Refrain überrumpelt schließlich gar vollends: er lädt zum Schunkeln ein! Wie die Imitation majestätischer Flügelschläge kommt er daher, bricht mit dem hektischen Schnellgezupfe, das gnadenlos gebrochen wird. Ab 3:20 Min. treten erstmals die CRIMSON-Einflüsse hervor, die von nun an ständiger Begleiter werden.
“Divinations” steigt mit Banjo-Klängen ein, wird aber schnell von der Gitarrenwelle und, viel wichtiger noch, von den wahnwitzigen Schlagzeugeskapaden Brann Dailors überrollt, des heimlichen Stars im Quartett, der seinen Job wieder auf ganz hervorragende Art und Weise erledigt. Nachfolgend ziehen sich Desert- und Psychedelic Rock-Reminiszenzen durch den Song.
“Quintessence” nimmt kurz das schnelle Tempo heraus, relativiert die Ruhe jedoch bald wieder mit Strukturen, wie man sie von THE MARS VOLTA gewöhnt ist, mit denen man anscheinend eine Affinität für den Progressive Rock der 70er Jahre teilt. Im “Let him go”-Refrain grüßt dagegen DEVIN TOWNSEND mit einer ruppigen Geste.
Dann das vierteilige “The Czar”. In ihm vereint sich alles, was an den neuen MASTODON so großartig geworden ist: sie wissen die Spreu vom Weizen zu trennen und integrieren nur noch Zweckmäßiges, um es auf nie gesehene Weise mit einer wunderbaren Eingängigkeit zu verbinden. Mancher Proggie mag sich vielleicht schämen, der bassdominierten Leitmelodie zu verfallen, doch wäre das falscher Stolz zur falschen Zeit am falschen Ort. Nach knapp vier Minuten veredelt eine Gitarrenlinie nach QUEENS OF THE STONE AGE-Muster den Song, wiegelt sich dann auf in astreinen Heavy Rock, die progressive Ausrichtung des Ganzen nie selbstzweckhaft im Vordergrund präsentierend, sondern aus dem Hintergrund agierend. Nach sieben Minuten eine Ruhepause, dann heulen BLACK SABBATH auf und selbst der Gesang nimmt gewisse Charakterzüge von Ozzy Osbourne an.
“Ghost of Karelia” hat durchgängig sehr viel von TOOL; der darauf folgende Titeltrack bäumt sich mühselig auf und stürzt sich dann prompt zu Boden mit markerschütternd tief gestimmten Gitarren und einem geisterhaften Chorus. Man merkt, die eigentlichen Charakteristika von MASTODON selbst kommen erst am Ende von “Crack the Skye” zum Vorschein. Der Eindruck verdichtet sich, als mit “The Last Baron” nochmals alle Register gezogen werden und ein wildes Medley aller Elemente der Vergangenheit miteinander kollidieren. Wütend, schwer, gewaltig.

FAZIT: Dass es erst gen Ende richtig laut und böse wird, führt dazu, dass endlich mal wieder ein Album nicht uninspiriert ausläuft, nachdem die großen Kaliber bereits zu Beginn der Parade verschossen wurden. Diese Scheibe ist von vorne bis hinten vollgepackt mit Überraschungen.
Dass in der Rezension so viele Vergleiche gezogen wurden, könnte den Verdacht nahelegen, dass MASTODON sich von sich selbst verabschiedet hätten, um fortan externe Stile nachzuspielen. Falsch. “Crack the Skye” ist ein Musterbeispiel gelungener Weiterentwicklung, in diesem Fall aufgrund der Radikalität eher Revolution als Evolution. Das Album knüpft dort an, wo CYNIC mit “Traced In Air” letztes Jahr eingesetzt haben. Es bleibt über ein O des Staunens und die vielleicht beste Platte des ersten Quartals 2009.

INFORMATIONEN ZUR CD-VERÖFFENTLICHUNG
Abgesehen von einer Limited Edition im “Mundharmonika”-Format (Pappverpackung zum Auseinanderziehen in den dreidimensionalen Raum) mit allerlei Gimmicks, das auf der offiziellen Homepage bestellt werden konnte, wurden zwei Fassungen veröffentlicht: Die Einzel-CD sowie die CD mit Bonus-DVD. Diese kommt im handelsüblichen Jewel Case ganz ohne Schnickschnack wie Pappschuber und hat außer dem wie immer ultraedlen Coverartwork von Paul A. Romano nichts für das Auge zu bieten. Also abgesehen von der DVD.

Die ist mit einem von den neuen Zwangs-FSK-Buttons (FSK 12) gebrandmarkt, die ja derzeit unter Filmsammlern für Aufregung sorgen. Das ist aber zu verschmerzen, denn glücklicherweise ist es bei CDs noch nicht soweit, dass die Altersfreigabe auf dem Frontcover verewigt werden muss.
Ein voll animiertes und mit Musik unterlegtes Menü führt zu verschiedenen Unterpunkten.
In “Making Of Crack the Skye” erfährt man in knapp einer Stunde einiges über die Produktion des Albums, die Idee hinter der Geschichte und die Arbeitsweise. Das geht so weit, dass Sänger und Gitarrist Brent Hinds auch mal ganz stolz seine “Creature from the Black Lagoon”-Sammlung präsentiert.
“Track By Track” nimmt sich - der Name verrät es schon - jeden einzelnen Track unter die Lupe, erklärt ihn und demonstriert die Einflüsse, die zu seiner Entstehung geführt haben. Lustig ist es zu hören, wie Brent Hinds die Songtexte nachplappert und zu erklären versucht, wie sie wirken sollen.
Den Abschluss macht eine Foto-Slideshow.

Punkte: 13/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 01.04.2009

Tracklist

  1. CD:
  2. Oblivion
  3. Divinations
  4. Quintessence
  5. The Czar (I. Usurper, II. Escape, III. Martyr, IV. Spiral)
  6. Ghost of Karelia
  7. Crack the Skye
  8. The Last Baron
  9. DVD:
  10. (Making Of Crack the Skye) Blood Mountain Tour Ends
  11. (Making Of Crack the Skye) Making Of Crack the Skye
  12. (Making Of Crack the Skye) Writing the Songs
  13. (Making Of Crack the Skye) The Beginnings of Crack the Skye
  14. (Making Of Crack the Skye) Hobbies
  15. (Making Of Crack the Skye) Pre Productions
  16. (Making Of Crack the Skye) Drums
  17. (Making Of Crack the Skye) Bass
  18. (Making Of Crack the Skye) Guitars
  19. (Making Of Crack the Skye) A New Element
  20. (Making Of Crack the Skye) The Catalyst for Crack the Skye
  21. (Making Of Crack the Skye) Skye
  22. (Making Of Crack the Skye) Vocals
  23. (Making Of Crack the Skye) Brann Explains the Album
  24. (Making Of Crack the Skye) The Story of Crack the Skye
  25. (Making Of Crack the Skye) Finishing Touches
  26. (Track by Track) Oblivion
  27. (Track by Track) Divinations
  28. (Track by Track) Quintessence
  29. (Track by Track) The Czar
  30. (Track by Track) Ghost of Karelia
  31. (Track by Track) Crack the Skye
  32. (Track by Track) The Last Baron
  33. Photo Gallery

Besetzung

  • Bass

    Troy Sanders

  • Gesang

    Brent Hinds, Brann Dailor, Troy Sanders

  • Gitarre

    Brent Hinds, Bill Kelliher

  • Schlagzeug

    Brann Dailor

  • Sonstiges

    Brent Hinds (Banjo), Rich Morris (Synthesizer, Mellotron), Scott Kelly (zusätzl. Gesang auf "Crack the Skye")

Sonstiges

  • Label

    Reprise Records

  • Spieldauer

    50:08 Min. (CD) + 95:12 Min. (DVD)

  • Erscheinungsdatum

    27.03.2009

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