Wenn man sich NICHELODEONs live eingespieltem Album nähern will, braucht man Zeit und Geduld. Denn „Cinemanemico” fordert die ganze Aufnahmefähigkeit des Hörers. Es ist ein dunkles Werk, ein sperriges, das behände zwischen vertracktem Art Rock und neoklassischen Impressionen hin- und herpendelt. Es erinnert an die experimentellen Phasen Peter Hammills, an seine Songs, die ohne Percussion auskamen, ein Merkmal, dass sich auf das komplette Album bezieht. Im Gegensatz zu Matthew Parmenter, dessen „Horror Express“ eine ähnliche Stimmung transportiert, versucht Sänger Claudio Milano allerdings nicht Hammills Gesangsstil zu antizipieren. Er hat eine eigene Stimme, die sowohl in moderner Kammermusik zu Hause ist, wie im experimentierfreudigen Düsterrock. Milano scheut sich auch nicht vor vokalen Exkursionen wie sie Demetrios Stratos oder Diamanda Galas betreiben, bleibt aber den lediglich mit Keyboards und einer elektrischen Gitarre instrumentierten Songs wesentlich verhafteter.
„Cinemanemico” durchzieht ein Hauch von kontrolliertem Wahnsinn, der jene Atmosphäre schafft, in der fast alles möglich scheint. Songs können explodieren, oder sanft vorüber gleiten; sie bewegen sich im weiten Spektrum zwischen Marc Almonds theatralischer Extravaganz und Devil Dolls manischen Expeditionen durch die Grenzbereiche der Rockmusik. „Anti Pop“ nennt die Band selbst ihren Stil und liefern tatsächlich einen Gegenentwurf zur hitparadenseligen Kurzatmigkeit, der mit den Strukturen der Pop-Musik spielt; so ist die Händel Bearbeitung „Lascia ch’io pianga“ komplex und eingängig zugleich, Avant-Kammer-Pop sozusagen. NICHELODEON können wunderbar entspannt vor sich hin spielen, während es unter der zerbrechlichen Oberfläche beständig brodelt. Claudio Milano beschreibt das völlig zutreffend so: „When we play we try to create a sort of sitting room where everything can happen.”
FAZIT: Wenn die schwarze Hütte in den Wäldern von Twin Peaks eine Hausband suchen würde, NICHELODEON wären erste Anwärter für den Job. Düstere, keyboardlastige Soundscapes, ein präsentes Pianospiel, dass alle Phasen von sanft bis zum Stakkato durch exerziert, klagende Gitarrenklänge, die an David Torn oder Robert Fripps „Frippertronics“ erinnern, dazu ein wandlungsfähiger Sänger, der von chansoneskem Vaudeville bis zum elegischen Requiem keine Berührungsängste kennt. Wahrlich keine leichte Kost, dieses „Cinemanemico”, aber ein bewegender Soundtrack auf einer Reise ans Ende der Nacht.
Das lohnenswerte Album ist für bescheidene 10 Euro (inklusive Porto) über Claudio Milanos Homepage (www.claudiomilano.it) zu ordern.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 19.04.2009
Claudio Milano
Francesco Zago
Maurizio Fasoli, Riccardo Di Paola
Eigenproduktion
54:44
13.07.2008