Passend zu Edgar Allan Poes 200. Geburtstag im Januar 2009 erschien – mit etwas Vorlauf – Paul Rolands neues Album „Nevermore“. Hatte der Vorgänger „Re-Animator“ H. P. Lovecraft im Blickpunkt, so ist „Nevermore“, wie unschwer am Titel zu erkennen, eine Verneigung vor dem Großmeister der Phantastik.
„Edgar Allan Poe“ heißt denn auch der epische, erste Song. Düstere Melodramatik, gepaart mit einer unwiderstehlichen Melodie, ergeben gleich einen Höhepunkt. Paul Roland spielt seine ureigne Interpretation des Begriffs Gothic Rock. Filigrane akustische Gitarren treffen auf elegische Keyboardfiguren, mitunter wird das Tempo angezogen, der Sound elektrischer. Am Ende nimmt der Folk- und Country Anteil spürbar zu, die bösen Texte werden in scheinbar freundliche, kleine musikalische Skizzen verpackt. „Leatherface“ wird so zu einer dezent rockenden, ironischen Hommage an einen hoffnungslosen Redneck, passend hervor gehoben durch Banjo und Fiddle. Eigentlich ein todsicherer Hit, allein aufgrund des eingängigen Refrains.
Doch nicht nur Poe und der Kettensägenfetischist bekommen ihren Auftritt, auch Jules Verne, respektive seinem Kapitän Nemo und der Nautilus wird ein melancholisches Triptychon zugesprochen („Last Voyage Of The Nautilus“). Ein sanftes Requiem, das eine Zeit beschwört, in der Träume noch Größe hatten. Roland trifft diese Stimmung zwischen Aufbruch, naiver Fortschrittsgläubigkeit und resignativer Erkenntnis ungeheuer gut. In jedem Beginn liegt der Samen für den Untergang. Kein Grund, es nicht zu versuchen.
Im relativ kantigen „Great Deceiver“ geht es um einen fanatischen Prediger, der sich in seiner Selbstgefälligkeit suhlt. Da muss natürlich die kleine Sau nachhaltig rockend durch’s Dorf gejagt werden.
Was die „Eight Little Whores“ im gleichnamigen, täuschend echt nachempfundenen, Wiegenlied treiben, muss nicht näher erläutert werden. Wenn sie allerdings in den „Streets of Whitechapel“ angesiedelt sind, ist klar, dass Jack The Ripper nicht weit ist.
Als Abschluss gibt’s mit „Sam Hall“ und „Foggy Dew“ noch zwei Traditionals, die Roland als den vermeintlich freundlichen Bänkelsänger von nebenan ausweisen. Wir wissen es natürlich besser.
„Meine Musik ist sicherlich im Kern englisch und wurzelt in den psychedelischen 60er und frühen 70er Jahren. Obwohl ich viele klassische Instrumente benutze, um die Viktorianische und Edwardianische Landhaus-Garten-Party-Atmosphäre zu beschwören, die zu meinen Texten passt, welche zumeist übersinnliche oder historische Themen haben. Stellen Sie sich den frühen Marc Bolan mit ein wenig Syd Barrett und Colin Blunstone plus The Left Banke vor, und Sie haben mich.“ (Paul Roland in einem Interview mit dem argentinischen „Nucleus“-Magazin)
FAZIT: Ein schlechtes Album hat Paul Roland in den letzten dreißig Jahren nicht vorgelegt. Selbst seine etwas schlichte Verneigung vorm Rock’n Roll der Fünfziger „Roaring Boys“ besaß großartige Momente. „Nevermore“ reiht sich in Rolands Diskographie ziemlich weit vorne ein. Offener als der düstere Lovecraft-Reigen zuvor, der in seiner Geschlossenheit noch etwas höher eingestuft werden kann, weiß Paul Roland wieder in seiner ureignen Art zu überzeugen. Die leicht nasale Stimme, die gar gräuliche Moritaten zu melancholisch beschwingten Melodien singt, ist Qualitäts- und Markenzeichen zugleich. Moody Blues möchte man sagen, wenn der Begriff nicht schon anderweitig belegt wäre. Einnehmende, verspielte Melodien, ein Stil, der viele Verweise zulässt und doch immer eigenständig bleibt – eigentlich die besten Voraussetzungen für durchschlagenden Erfolg. Doch leider steht zu befürchten, dass sich „Nevermore“ den zuvor geleisteten Großtaten anschließen wird: heiß geliebt von den Fans, von Kritikern durchweg wohlwollend besprochen und verkümmernd in einer Nische, die ewiger Geheimtipp heißt. Wird Zeit, dass sich daran was ändert.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 14.02.2009
John Tracey
Paul Roland, Andrea K. C. Koslowsky
Paul Roland, Derek Heffernan
Paul Blewitt, Nico Steckelberg
Simon Jeffries
Syborg Music
49:27
31.10.2008