Eurovisions-Fanfare und Albrecht Metzgers legendäres "Lehdies änt Tschentelmenn! Tschörmän Telewischn praudlie prisents..." - das war in den 70ies purer Kult. Für uns Halbwüchsige, Teil einer subversiven Gegenkultur, gab es hier, in einer noch wahnsinnig rückwärtsgewandten -wenn auch im Umbruch stehenden- Gesellschaft, einen Spielraum für "unsere" Musik. Es ist das Verdienst Peter Rüchels und seines kongenialen Regisseurs Christian Wagner, Rockmusik im öffentlich-rechtlichen TV etabliert zu haben. In seinen Erinnerungen schildert Rüchel freimütig, wieviele offene Türen er seinereit beim liberalen WDR mit seinem Konzept einrannte. In den 70ern galt seinerzeit "anything goes". Das Ende des Rockpalastes wurde erst dann eingeläutet, als zehn Jahre nach der ersten Sendung die Privatsender das "goldene Kalb" der Quote auch in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk trieben. 1986, nach einer katastrophalen Pleite mit lediglich 1200 verkauften Karten für die 16. Rockpalast-Nacht mit den RODGAU MONOTONES und RUBEN BLADES, riss dem Intendanten der Geduldsfaden und der Rockpalast wurde kurz und schmerzlos zu Grabe getragen. Peter Rüchel schildert in sehr gut lesbaren kurzen Kapiteln und eindrücklicher Sprache die Entstehungsgeschichte aus den Anfängen in den WDR-Studios der Kölner Südstadt, über die Rockpalast-Nächte hin zu den grossen Open-Air-Veranstaltungen auf der Loreley.
Besonders interessant sind die Gastbeiträge von Tobias Günzel (DIE PRINZEN) und Peter Gehrke über die Bedeutung des Rockpalastes für die Jugendkultur in der ehemaligen DDR. Weitere Gastbeiträge von LITTLE STEVEN oder Wolfgang Niedecken (BAP) beleuchten die Events aus der Perspektive der auftretenden Künstler. Ein ganzes Kapitel ist dem wohl treuesten Wegbegleiter des Rockpalastes, dem großen RORY GALLAGHER, gewidmet und dies mit Fug und Recht...
Der zweite Teil des Buches widmet sich der wundersamen Auferstehung des Rockpalastes in den 90er Jahren. Thematisiert werden die Rückkehr auf die Loreley, die kurze Zeit des "Bootleg", die etwas längere des "Bizarre", die Specials sowie die Kooperation mit "Rock am Ring". Allerdings hätte ich mir eine eingehendere Beschäftigung mit den Rocknächten des neuen Jahrhunderts gewünscht, allerdings hat sich Peter Rüchel bekanntlich 2003, damals 66-jährig, aus der aktiven Gestaltung der Sendung zurückgezogen. Somit konnte davon ausgegangen werden, dass die neueren Events mit bspw. GOV'T MULE oder JOE BONAMASSA wohl kaum Einlass in dieses Buch finden würden.
Womit wir bei meinen Kritikpunkten wären. Ich hätte mir gerne eine eingehendere Beschäftigung mit dem "Herzstück" des Rockpalastes gewünscht: Ein Kapitel für jede der 17 Rockpalast-Nächte, die sicherlich so reich an Anekdoten sind - das wäre richtig spannend geworden! Auch ein Register mit allen in Wort und Bild dargestellten Künstlern hätte den Gebrauchswert des Buches sicherlich gehoben. Demgegenüber steht allerdings als Positivum eine gewaltige Front von eindrucksvollen Bildern, die teilweise sensationelle, geradezu magische Momente eingefangen haben.
FAZIT: "Rockpalast: Peter Rüchels Erinnerungen" ist in der Summe nicht nur eine unterhaltsame, gut lesbare Zeitreise geworden, sondern könnte sich als unverzichtbares Nachschlagewerk etablieren. Einige Möglichkeiten wurden zwar verschenkt, aber besseres ist in der Literatur über diesen bedeutenden Teil der Rockhistorie derzeit nicht zu finden, noch dazu aus berufendstem Munde. Wer die Rockpalast-Nächte quasi mit der Muttermilch aufgesogen hat, wird an diesem schönen Bildband wohl kaum vorbei kommen.
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Preis: 29,95 €
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3941376063
ISBN-13: 978-3941376069
Erschienen auf www.musikreviews.de am 19.11.2009
Edel Rockbuch
256 Seiten
09.11.2009