Kinder verlassen ihre Eltern, Musiker ihre Plattenfirmen. Mal im Streit, mal macht jemand ein besseres Angebot und manchmal ist es einfach der Lauf der Zeit, der einen Abschied mit sich bringt. Zurück bleiben Fotoalben, Memorabilien, kurzum Erinnerungen, die Eltern in andächtiger Stunde betrachten und mit feuchten Augen an das vereinte Damals denken lassen. Große Label möchten auch gerne feuchte Augen bekommen. Das wird aber nicht im stillen Kämmerlein bei Kerzenschein passieren, sondern wenn Geld – das die freundlichen Kinderlein auch irgendwann gekostet haben – zurück in die Kassen fließt. Oder besser noch: sich vermehrt. Also wird alles an verfügbarem Material auf den Markt geworfen, mal getarnt als „Best Of“-Kompilationen, oder Spezialeditionen in besonderer Aufmachung und mit zahlreichen Boni versehen.
Im Falle Radioheads hat es die „Best Ofs“ bereits gegeben, also sind jetzt die speziellen Ausgaben an der Reihe. Und da haben sich Parlophone/EMI nicht lumpen lassen. Bieten sie doch von den ersten drei Alben („Pablo Honey“, „the bends“ und „OK Computer“) der britischen Band jeweils zwei Varianten an. Zum einen die Collector’s Edition, bestehend aus den jeweiligen Originalalben plus einer Bonus-CD, die EPs, Live aufgenommene Stücke und Auszüge aus Fernsehsessions enthält. Zum Zweiten die Special Edition, die zusätzlich eine DVD mit Videos, weiteren Live-Auftritten, sowie ein paar kunstvolle, an die Cover angelehnte, Postkarten einschließt.
Die Aufmachung ist edel, wenn auch auf Jewel Cases verzichtet wurde, befinden sich sämtliche Alben (natürlich einzeln verpackt in kartonierten Hüllen) und Karten in einer wertigen Pappbox.
Pech haben ambitionierte Sammler, die bereits die frühen Einzelwerke RADIOHEADs samt Eps und Live-Aufnahmen besitzen. Für alle anderen Interessenten an der Frühphase und der Entwicklung Thom Yorkes und seiner Mannen, fällt mit den Boxen Weihnachten, Geburtstag und Ostern auf einen Tag. Denn für einen akzeptablen Obolus erhält man die Originalalben plus erschienener EPs, wie den Erstling „Drill“, das famose „My Iron Lung“, oder diverse Alternativ-Versionen (vor allem spannend auf der Zugabe zu „OK Computer“), als Gegenwert. Empfehlenswert besonders in der Special Edition, denn hier lässt sich der Werdegang der Band anhand der meist sehenswerten Videos und Live-Auftritte noch besser verfolgen.
Das Debüt „Pablo Honey“ hinterließ bleibenden Eindruck aufgrund des Überhits „Creep“, einem der wenigen Songs der jüngeren Musikgeschichte, an dem man sich auch bei regelmäßiger Beschallung nicht müde hört. Wunderbar austariert zwischen sanfter Melancholie und kurzen, explodierenden Schüben, mit einem Refrain, der sitzt wie die sprichwörtliche Faust auf dem Auge. Doch man tut den restlichen Songs Unrecht, wenn man sie im Schatten dieses Giganten verblassen lassen würde. Auf „Pablo Honey“ (wie auch auf „the bends“) präsentieren sich Radiohead noch wesentlich gitarrenlastiger und straighter als auf „OK Computer“, das trotz seines kommerziellen Erfolgs, schon den Weg zu den experimentelleren Alben „Amnesiac“ und „Kid A“ weist. Und leider auch auf den weinerlichen Zug des Leidens, den gerade Thom Yorke mitunter allzu gern besteigt. Zu Beginn ist noch wenig davon zu spüren. Mal fragil („Thinking Of You“), mal härter spielen RADIOHEAD ihre Variante des britischen Alternativ-Rocks, der sich seiner Vergangenheit – repräsentiert durch Bands zwischen Echo & The Bunnymen, den Chameleons, über die Smiths und U2, bis hin zu Joy Division - wohl bewusst ist. Hinzufügt wird eine nonchalante Pop-Attitüde, die ihre Leichtigkeit hinter dem vorgetragenen Weltschmerz wohl zu tarnen weiß und genau deswegen überzeugt. So setzen sich RAFIOHEAD auch ab vom Grunge, der mit ähnlichen musikalischen Mitteln arbeitet, aber rauer und dem Metal verhafteter bleibt. Bei manchen Songs führt das zu einer zu glatten Reproduktion bestehender Muster „Anyone Can Play Guitar“), bleibt aber insgesamt eine stimmige Angelegenheit, die im Laufe der Jahre dazu gewonnen anstatt verloren hat.
FAZIT: Mag man „Pablo Honey“ auch als Gesellenstück bezeichnen, so ist es doch ein fein gedrechseltes mit Prädikat. Einen Monstersong im Gepäck („Creep“), umrahmt von elf recht kurzen Statements zu gitarrenorientierter Pop-Ästhetik im alternativen Gewand. Manchmal ein wenig zu glatt und mit zu offensichtlich anklagendem Habitus vorgetragen („Stop Whispering“), aber insgesamt ein bemerkenswerter Einstieg. Wenn auch der weitere Weg, den RADIOHEAD einschlagen werden, nur an den Rändern vorgezeichnet wird.
Auf der Bonus CD geht es noch etwas unbehauener zu. Vom ersten Lebenszeichen „Drill“, über Alternativ- und Live-Versionen ist der über 70 Minuten lange Silberling ein ausgezeichneter Zusatz und Wegweiser in die frühen Jahre Radioheads. „Creep“ wird allerdings zu oft hofiert.
Ähnliches gilt für die DVD, auch wenn die ersten Videos eher statisch abgefilmt wirken, zeigen sich mit den frühen Clips bereits der Hang zum Experiment und der Wille Kunst zu schaffen. Zu welchem Preis auch immer. Nicht immer gelungen, aber meist interessant. Alleine wie sich Band und (vor allem) Frontmann Yorke vom Outfit und Gestus her verändern, ist sehr unterhaltsam.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 23.03.2009
Colin Greenwood
Thom Yorke, Ed O’Brien
Jon Greenwood, Thom Yorke, Ed O’Brien
Jon Greenwood
Phil Selway
Parlophone/EMI
42:14 (CD1) / 72:16 (CD2) / 50:30 (DVD)
20.03.2009