Mit dem Gastauftritt von Ray Alder (FATES WARNING) als Produzent und Sänger auf ihrem selbstbetitelten Erstling konnten REDEMPTION bereits im Jahre 2002 deutliche Aufmerksamkeit auf sich lenken. Zwar waren die Vertonungen auf dem Debüt zweier Romane Stephen Kings guter Stoff, doch noch nicht so wirklich überdurchschnittlich. Daraufhin arbeitete Mastermind Nicolas van Dyk ordentlich an neuen Songs und Texten für das Folgewerk und konnte damit Ray Alder ganz für sich gewinnen, der sich kurzerhand dazu entschloss, als vollwertiges Mitglied in die Band einzusteigen und somit auch wieder mit seinem vertrauten Bandkollegen Bernie Versailles (Ex-FATES WARNING, ENGINE, AGENT STEEL) zu arbeiten. Das Ergebnis mit dem Namen „The Fullness Of Time“ (Veröffentlichungsjahr 2005) konnte sich sehen lassen und handelte sich durch die unnachahmliche Mischung aus metallischer Härte und traumhaft schöner Melodien immense Anerkennung bei Musikerkollegen und Bestbewertungen der internationalen Musikpresse ein.
Zwei Jahre später bekehrten die fünf Musiker mit dem würdigen Folgestreich „The Origins Of Ruin“ schließlich die letzten Zweifler und tourten im selben Jahr durch die USA mit DREAM THEATER, wobei sie die Live-DVD „Frozen In The Moment“ aufnahmen.
Wiederum zwei Jahre später versuchen REDEMPTION mit „Snowfall On Judgement Day“ ein zweites Mal, das Erbe des eigens erzeugten Ahnherren anzutreten.
Gespannt lauscht man dem synthetischen Intro des Openers „Peel“, das sich nach 45 Sekunden in einem Riffgewitter mit hämmerndem Doublebass-Donnern entlädt. Ray Alder klingt in den Strophen rauchig-rockig wie nie zuvor und hat mit den frühen Einsätzen bei FATES WARNING nicht mal ansatzweise mehr etwas gemein. Ein sphärischer Refrain, tiefgründige Zeilen (z.B. ‚I look into my eyes and nothing gazes back, shadows without substance fading into black’) und ein hammerhartes Gitarrensolo lassen die Mundwinkel nach oben zucken und geben einen kleinen Vorgriff, was in der nächsten starken Stunde noch auf den Hörer lauert.
Nach einem etwas kitschigen Vorspiel à la „Run To The Hills“ wartet „Walls“ mit weiteren starken Gefühlen auf. ‚Fifteen hours I’ve been staring at these walls waiting for a call that never comes’, jault Alder sich die emotionsgeladene Seele aus dem Leib.
Doch wer REDEMPTION besser kennt, fragt sich, wo die ungeraden Takte geblieben sind – und wird sogleich in den ersten Trommelfellschwingungen von „Leviathan Rising“ während des Verlesens des Bonfire-Gedichtes (vgl. ‚Schießpulververschwörung’ des 5. Novembers 1605) auf die kommenden Songs vorbereitet, in denen die ungeraden Takte nicht nur beiläufig auftauchen.
„Black And White World“ macht letztendlich selbst den Unwissenden klar, dass sie es hier mit progressiver Musik zu tun haben. Hier beweisen die fünf Amerikaner, dass sie trotz häufiger Takt- und Rhythmuswechsel wunderbare Wohlklänge mit ihren Instrumenten zaubern können, wie kaum eine andere Band.
So schön der vorige Titel, so knallhart der folgende – bei „Unformed“ ist der Name Programm: Das Main-Riff besteht aus zwei verschieden langen Takten, beim Refrain kommt ein Feelingwechsel, ebenso tanzt die Bridge rhythmisch aus der Reihe.
„Keep Breathing“ ist prall gefüllt mit Trauer und erhält mittels experimenteller Tonfolgen eine durchgehende Spannung.
In dem kraftvollen Stück „Another Day Dies“ überrascht beim ersten Hören der Gesang, denn an Stelle von Ray Alder tönt unverkennbar James LaBrie aus den Lautsprechern. Erst im Pre-Chorus setzt Alder ein, um sich im Refrain mit der Stimme von DREAM THEATER zu vereinen, die ihn in Lautstärke allerdings leider deutlich übertrifft.
„What Will You Say“ greift nun wieder in Richtung Herz und trifft geradewegs in die Mitte. Hier kann der Frontmann der Band wieder auftrumpfen und zeigt, dass er diesem ohnehin schon bis zum Bersten gefühlsgeladenen Stück noch mehr Ausdruck und Tiefe geben kann.
Beim nächsten Titel könnte man meinen, dass es sich um eine Nummer von NEVERMORE handele. Entwarnung stellt sich erst ein, als dann doch die unverkennbaren Stimmbänder des Stammvokalisten von REDEMPTION erklingen und nicht die von Warrel Dane. Dennoch klingen die brachialen Stakkatoattacken und die virtuosen Gitarrensoli stellenweise sehr nach Jeff Loomis’ Feder.
Nach diesem Inferno ist „Love Kills Us All / Life In One Day“ ein geruhsamer Abschluss des Albums, der sich jedoch noch über elf grandiose Minuten erstreckt. Gegen Ende des Titels löst sich der Spannungsbogen in etwas Hoffnungsvollem, beinahe Glücklichem auf – buchstäblich wie eine Erlösung von negativen Stimmungen – und erinnert jeweils an den letzten Song der beiden Vorgängeralben. Ob das in Allegorie mit dem Bandnamen das profunde Konzept der Gruppe sein mag…?
FAZIT: Überragende Instrumentalisten, ein exzellenter Vokalist und ein brillanter Songwriter: Wieder einmal zeigen REDEMPTION, dass sie saftigen Metal mit überwältigenden Melodien und tiefgreifenden Emotionen vereinen können.
Man hatte realistischerweise davon ausgehen können, dass „Snowfall On Judgement Day“ kein meisterhafter Geniestreich wie „The Fullness Of Time“ würde, denn solch ein perfekter Edelstein kann vermutlich nur ein Mal pro Dekade zu Tage gebracht werden. Trotzdem zieht das Schmuckstück mit „The Origins Of Ruin“ gleich, dem ebenso nur noch ein richtiger Schliff zum prachtvollen Saphir fehlte.
Aus dem Schneefall bleibt also ein wertvoller Juwel zurück, der allerdings bestimmt nicht so schnell dahinschmelzen wird wie ein Eiskristall.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 23.09.2009
Sean Andrews
Ray Alder
Nicolas van Dyk, Bernie Versailles
Greg Hosharian
Chris Quirarte
InsideOut
70:30
25.09.2009