Nach der „Reality Dream“-Trilogie war es Zeit für eine Frischzellenkur im Hause RIVERSIDE. Die Polen, die in den letzten Jahren einen astreinen Senkrechtstart in Sachen Erfolg hingelegt haben, befreien sich von den musikalischen und textlichen Vorgaben ihres drei Alben überspannenden Konzeptwerkes, deren letzter Teil „Rapid Eye Movement“ im Jahre 2007 erschien und im Gegensatz zum gewaltigen Vorgänger „Second Life Syndrome“ (2005) durchaus seine schwächeren Momente hatte.
„Anno Domini High Definition“ beschreibt das Jahr, das Zeitalter hochauflösender Monitore, die Stellvertreter und Symbol sind für den technischen Fortschritt, der für viele Menschen zum Lebenssinn geworden ist. Das größte anzustrebende Ideal ist es, immer aktuell und auf dem neusten Stand zu sein, die Technik um der Technik willen zu besitzen, als Statussymbol, als Gradmesser für den Wert des eigenen Ichs und vielleicht auch als Ersatz für Defizite in der eigenen Persönlichkeit oder im Umgang mit Menschen aus dem direkten Umfeld.
Die Atemlosigkeit, die entsteht, wenn man kritiklos Trends hinterher hetzt, haben RIVERSIDE auf ihrem vierten Album musikalisch umgesetzt. Entsprechend ist bei „Anno Domini High Defintion“ nach 44 Minuten und 44 Sekunden auch schon wieder Schluss, was für ein Prog-Album ja wirklich keine ausufernde Spielzeit ist. Dafür hat es die relativ kurze Spielzeit aber faustdick in sich - Mariusz Duda und seine Mitstreiter haben ihren typischen Band-Sound generalüberholt und umgekrempelt, ohne dabei an Identität einzubüßen: RIVERSIDE klingen trotz allem noch immer nach RIVERSIDE.
„Anno Domini High Defintion“ ist härter und lauter als seine Vorgänger, wilder und extrovertierter – das ist beim ersten Song „Hyperactive“ nicht nur dem Songtitel zu entnehmen, sondern auch Dudas Gesang, der nicht mehr so melancholisch und in sich gekehrt klingt wie auf den früheren Werken (aber keine Angst, der „alte Gesang“ findet immer noch seinen Platz in den Kompositionen). Der Bass pumpt heftig, die Gitarren rocken organisch und werden von wilden Orgel-Sounds hinterlegt. Die Polen haben dabei mehr Saft in den Backen als die meisten Bands, die schon ihr Leben lang DEEP PURPLE und LED ZEPPELIN hinterher hechelten. „Anno Domini High Defintion“ ist aber beileibe kein simples Rock-Album geworden: Stets abwechslungsreich, mit atmosphärischen Parts und traumhaften Piano-Passagen angereichert, geben sich RIVERSIDE anno 2009 immer noch vielseitig (man lausche nur den Blechbläsern bei „Egoist Hedonist“).
Die starke PINK FLOYD-Schlagseite ist weitestgehend verschwunden und tritt nur hin und wieder zutage, wenn Gitarrist Piotr Grudzinski seine seelenvollen, lyrischen Soli wie Gefühlslava aus den Fingern fließen lässt. Und wenn am Ende von „Hybrid Times“ zu jaulenden Keyboards die Double-Bass wild drauflos hämmert, dann ist das kein Anbiedern ans „Höher-Schneller-Weiter“-Publikum, sondern nachvollziehbare musikalische Entwicklung und die Explosion des emotionalen Höhepunkts vom epischen Abschlusstrack des Albums.
FAZIT: Nach dem zuletzt enttäuschenden „Rapid Eye Movement“ geben sich RIVERSIDE wortwörtlich der Progression hin, spielen mit wohldosierter Aggression und vielen, vielen heftig treibenden Rock-Hummeln im Arsch eines der besten Alben der Bandgeschichte ein. „Anno Domini High Defintion“ verbindet Härte mit Gefühl und Atmosphäre und bietet so eine moderne Form von Prog Metal, die nicht bloß bekannten Vorbildern nacheifert.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 21.06.2009
Mariusz Duda
Mariusz Duda
Piotr Grudzinski
Michal Lapaj
Piotr Kozieradzki
InsideOut / SPV
44:44
03.07.2009