Der Trend zu kurzen Songs und atmosphärischen Zwischenspielen setzt sich fort. Nach der Dante-Vertonung sind SEPULTURA weiter im Rückwärtsgang schräg seitwärts: Wurzeln neu freilegen, ohne den Blick von der Zukunft abzuwenden.
Intro gegessen, und „Moloko Mesto“ ist ein Hardcorethrasher vor dem Herrn - gar nicht weit vom klassischen SEPULTURA-Sound entfernt. "Filthy Rot" hingegen trifft mit statischem Riffing und kruden, den Marines-Gesängen ähnlichen Patriotenzeilen eher den sperrig-experimentellen Nerv... Klemmt einer beim Rezensenten, oder gehe ich mit der Meinung anderer Hörer konform, dass Fronter Green eigentlich weit ausdrucksstärker belfert als jedermanns Darling Max? Vor diesem Hintergrund ist es allein schade, dass Andreas Kisser sich nicht endlich die Leine durchbeißt und seine Flexibilität an der Gitarre auch auslebt - niemand würde ihm auf die Finger klopfen, doch statt Virtuosität (hey, ein Solo in "The Experiment"!) zeigt er lieber seine Vorliebe für Klangmalereien und schwere Minimalriffs, die dunklen Propheten wie Neurosis näher stehen als Heavy-Metal-Superlativen. Das wiederum passt nicht schlecht zur Basis von "A-Lex", dem kleines Bisschen Horrorshow "A Clockwork Orange". Stanley Kubrick fände es sicher gut, dass die Texte hier mindestens genauso schwer wiegen wie die Musik, denn wie in seiner Verfilmung die Jugend einen gewalttätigen Pogo zu Beethoven tanzt ("Ludwig Van" greift dies auf: Concerto for SEP and Orchestra), so malen SEPULTURA entsprechende Bilder, die vom Konzept losgelöst "nur" eine düstere Platte unter vielen darstellen würden.
Mit dem lyrischen Überbau allerdings erhalten Tracks wie "Sadistic Values" - anklagend träge zunächst, dann eine dissonante Riffwalze, deren Motor endlich im stotternden Punkrhythmus heißläuft - einen Mehrwert, den die Anhänger von gestern zwar achselzuckend anerkennen, unvoreingenommene Hörer jedoch für eine integre, experimentierfreudige Gruppe einnehmen können. Nichts weniger sind SEPULTURA heute nämlich, wenn man all das Geschwätz von den so wichtigen Südhalbkugel-Thrashpionieren einmal außer Acht lässt - und das ist mehr als die ausgesetzte Aggression und Spiritualität des ungekämmten Jumpdafuckup-Nachlassverwalters, der sich mit weniger Substanz auf der hipperen Seite des Business befindet.
FAZIT: SEPULTURA bleiben weiterhin eine Band, die sich nicht der populären Geschmäcklerei andient und in ihrer musikalisch simplen und auf Stimmung ausgerichteten Konzeption vielen als ihren Zenit überstolpernde Zeitgenossen erscheinen mag. Objektiv sind sie jedoch ein Streifen, der mit bekannten Mitteln (Thrash und Hardcore stoßen ins Post-Horn) Spannungen abseits eines Gimmick-Hollywoodfilmchens (die MeinPlatz-Jugend in ihrer instrumentalen wie thematischen Effekthascherei) erzeugt. Freude schöner Götterfunken...
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 19.01.2009
Paulo Jr.
Derrick Green
Andreas Kisser
Jean Dollabella
Steamhammer/SPV
54:23
23.01.2009