Tom Phillips geht weiter unbeirrt seinen Weg und veröffentlicht ohne Eile nach und nach die Puzzleteile seines Lebenswerks WHILE HEAVEN WEPT, wenn es sein muss auch mit jahrzehntelanger Verspätung. Erst wenn es ihm möglich ist, seine Ideen genau nach seinen Vorstellungen umzusetzen, oder die Songs die nötige Reife erlangt haben, bringt er diese auf einem Album heraus. So enthält auch „Vast Oceans Lachrymose“ wieder Tracks, deren Ursprünge oder einzelne Bestandteile bis in das Jahr 1993 zurückgehen. Sogar das Album selbst war in anderer Form bereits lange vor seinem Vorgänger geplant, und die Veröffentlichung von „Of Empires Forlorn“ liegt nun auch bereits sechs Jahre zurück. Wer sich an den damals zelebrierten Stil erinnert, den man in etwa mit Begriffen wie „Romantic Doom“ umschreiben konnte, wird beim ersten Kontakt mit dem neuen Album zunächst verwundert aufhorchen: WHILE HEAVEN WEPT klingen gleichzeitig aggressiver und auch progressiver und legen mit dem über fünfzehn Minuten langen „The Furthest Shore“ einen kompromisslosen Traumstart hin. Dieser Track enthält so ziemlich alles, was „Vast Oceans Lachrymose“ ausmacht: Heftige Riffs wechseln sich mit wunderschönen Leads ab, und bombastische, orchestrale Passagen ergänzen sich mit verträumten Akustikgitarren und fast an PINK FLOYD erinnernden, atmosphärischen Zwischenspielen. Immer wieder gibt es Rhythmuswechsel und Breaks zu hören, die Strukturen sind episch und progressiv gestaltet, wirken allerdings nie übertrieben technisch, sondern immer songdienlich. Über all dem erhebt sich die Stimme des neuen Sängers Rain Irving, der die Vorgaben von Tom Phillips noch besser als der Meister früher selbst umsetzt. Dessen unverkennbare Handschrift ist natürlich weiterhin in den großen, ergreifenden Melodien deutlich vorhanden, aber Rain Irving klingt kraftvoller und vor allem in höheren Regionen sicherer, ohne auf die Kopfstimme ausweichen zu müssen.
Eigentlich müsste man den Stil von WHILE HEAVEN WEPT nach diesem Auftakt nun eher als epischen, progressiven US-Metal bezeichnen, und das bestätigen auch die beiden folgenden Tracks. „To Wander The Void“ erinnert stark an die Frühwerke von FATES WARNING mit John Arch (was auch ausdrücklich so beabsichtigt war), und die Gitarrenarbeit im flotten „Living Sepulchre“ könnte gar fast von STEEL PROPHET stammen. Doch auch wenn man kaum noch von Doom Metal sprechen kann, zumindest nicht so, wie ihn die meisten Leute verstehen, ist doch die typische Grundstimmung erhalten geblieben und sofort als WHILE HEAVEN WEPT identifizierbar. Das liegt vor allem an den markanten Melodien, sowohl im Gesangs- als auch im Gitarrenbereich. Das ganze Album steckt voller Melancholie und Sehnsucht, entweder umgesetzt durch den oft mehrstimmigen Gesang oder die malerischen, verträumten Gitarrenleads. Selbst in den härteren Riffs versteckt Tom Phillips immer wieder seine typischen, bittersüßen Harmonien.
Und wie beschreibt man nun das folgende „Vessel“...? Wie beschreibt man das Gefühl, wenn einem auch noch nach zahllosen Durchläufen jedesmal sämtliche Haare zu Berge stehen, man die Augen schließt und gleichzeitig weinen und jubeln könnte? Wenn man sich ungeheuer geborgen fühlt und gleichzeitig bis hinter den imaginären Horizont aufbrechen möchte? „Vessel“ ist eine unvergleichliche Hymne, wie es sie heutzutage eigentlich gar nicht mehr geben kann. Der getragene, schier unendlich große Refrain wird in solch erhabener und feierlicher Art vorgetragen, dass einem schlicht die Worte fehlen...
Erstaunlicherweise halten WHILE HEAVEN WEPT nach diesem emotionalen Höhepunkt die Stimmung, denn mit dem Titeltrack folgt eines der ergreifendsten Instrumentalstücke, das jemals in einer Rock-Besetzung eingespielt wurde. „Vast Oceans Lachrymose” ist nicht weniger als in Gitarrenmelodien gegossene Sehnsucht und Melancholie, die wunderschönen Harmonien rauschen wie Wellen über den Hörer hinweg, sanft und doch gewaltig. Danach beendet „Epilogue“ das Album mit atmosphärischen Keyboards und den Klängen des Meeres.
FAZIT: Eigentlich könnte sich Tom Phillips nun zur Ruhe setzen, denn sein Lebenswerk wird hier zum Meisterwerk. „Vast Oceans Lachrymose“ klingt ergreifend, melancholisch und unglaublich gefühlvoll, dabei aber auch abwechslungsreicher und anspruchsvoller als frühere Werke. Mit anderen Worten: Auf diesem Album passieren viel mehr und größere Dinge, als je zuvor (und das sage ich als ausgesprochener Fan des Vorgängers). Aufgrund der leicht veränderten musikalischen Ausrichtung und des neuen Sängers sollte sich niemand abschrecken lassen, der bisher mit WHILE HEAVEN WEPT nichts anfangen konnte, ihr werdet begeistert sein! Und langjährige Fans werden das Album über alles lieben.
Musik soll Emotionen hervorrufen, und „Vast Oceans Lachrymose“ weckt diese in einer solch zwingenden Art und Weise, dass ich nach über 100 Rezensionen für musikreviews.de erstmals die Höchstnote vergeben muss. Wenn nicht dieses Album, welches dann?
Punkte: 15/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 04.11.2009
Jim Hunter
Rain Irving
Tom Phillips, Scott Loose
Michelle Schrotz
Trevor Schrotz
Cruz Del Sur
42:16
06.11.2009