Streicher stimmen nach und nach ein orchestrales Crescendo an, das sich über Chöre, Pauken und Glockenspiel aufbaut. Gefühltes Cinemascope läuft von Gänsehaut begleitet das Rückgrat hinunter, und man denkt sich: Jeden Moment wird der Todesstern angegriffen. Oder Frodo wirft den Ring in die Lava. Irgendwas in dieser Größenordnung.
An dessen statt beginnt das Debüt der Briten XERATH, passend betitelt mit der ersten römischen Ziffer. Und die sind weder John Williams noch Howard Shore, sondern eine einfache Technical Math Metal-Kappelle. Aber was heißt hier einfach, mit Polyrhythmen zu hantieren und sich in die Spuren der großen MESHUGGAH zu begeben, dürfte alles andere als einfach sein. Insbesondere, wenn man dem anspruchsvollen Fach auch noch neue Facetten abgewinnen will.
So wirklich neu ist das alles aber nicht, denn schließlich ist es den niederländischen Webmeistern von TEXTURES längst gelungen, die kalte Technik der Schweden im warmen Licht des wundervollen DEVIN TOWNSEND zu baden. Heraus kam ein musikalisches Konglomerat, das in seinen besten Momenten orgiastisch klang.
XERATH möchten mit “I” aber offenbar noch einen Schritt darüber hinaus. Die TOWNSEND-Synthesizerwelten sind ihnen noch nicht genug der Atmosphäre. Ergo machen sie auf AMASEFFER und vertonen ihr Album zu einem akustischen Kinofilm, indem sie sich dem opulentesten aller Hilfsmittel bedienen: des Orchesters. Das kontrastieren sie dann mit schneidenden Gitarren und sich überlagernden Schlagzeugrhythmen.
Klingt in der Theorie gut. Und ja, auch praktisch macht “I” zunächst eine Menge Laune. Die zehn Songs verschmelzen zu einem großen Ganzen und sind ausfallfrei zu genießen.
Nicht verleugnen kann der fette Sound allerdings die überdeutliche Fokussierung auf die Orchesterunterstützung, die im Endeffekt zu dominant nach vorne gemischt wird. In den Hintergrund gerät dadurch dasjenige, was genau genommen Seele eines jeden Songs ist: Die Komposition.
Nicht, dass die Kompositionen schwach ausfielen, nur mit Herzblut verteidigt werden sie nicht. Vor allem aber ist die Platte nicht halb so originell wie sie es gerne wäre. “Intrenity” ist trotz seiner Songelemente nichts weiter als eine inhaltsleere Ouvertüre; was danach folgt, hat man so oder so ähnlich schon bei der Konkurrenz gehört. Insbesondere die Partie in “Reform Part I” mit dem mehrstimmigen Gesang erinnert überdeutlich an TEXTURES, während man sich besonders in jenen Momenten an MESHUGGAH festhält, in denen der Ausklang der stakkatohaft gezupften Gitarren mit einem tonalen Abfall markiert wird. Dazu hat die dänische Neo-Metal-Fraktion (MNEMIC, RAUNCHY) noch ihre Spuren hinterlassen. Die Priorität, die das Wechselbad aus Klassik und Technical Metal genießt, steht vereinfacht gesagt dem Ziel im Weg, einfach originelle Songs zu schreiben.
FAZIT: Ein Album, das spürbar die Metalszene aufmischen will. Ob das gelingt, bleibt abzuwarten, denn “I” ist keine Innovation in Sachen Songwriting, sondern allenfalls in der Fusion musikalischer Elemente, und selbst das nur in bedingtem Maße. Trotzdem werden XERATH sich mit ihrem Mut eine Fangemeinde erarbeiten können. Wer mit MESHUGGAH, TEXTURES, MNEMIC, dem 2007er-Output von THE END oder möglicherweise sogar dem “S&M”-Experiment von METALLICA etwas anfangen konnte, dem sei durchaus ein erwartungsfroher Blick empfohlen.
Punkte: 9/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 12.05.2009
Owain Williams
Richard Thomson
Andy Phillips
Michael Pitman
Candlelight Records
39:31
25.05.2009