Das Zustandekommen dieser EP ist Steven Wilsons Interesse an Überschussware zu verdanken, derer sich normalerweise kein Label annimmt. Frans de Waard jedoch, auf der Bühne unter anderem als FREIBAND aktiv, unterhält ein solches Label: "My Own Little Label" ist auf die Veröffentlichung von Archivmaterial und Raritäten spezialisiert. So kam also eines zum anderen: de Waard wurde von Wilson angeschrieben, es wurden ein paar CDs und vermutlich auch Komplimente getauscht und dann die entscheidende Frage gestellt: ob er denn "Haze Shrapnel" veröffentlichen wolle, der Herr de Waard.
"Haze Shrapnel" ist – man ahnt es schon – ein unveröffentlichter Track, der im Zuge der BASS COMMUNION-Sessions für das 2008er Album "Molotov & Haze" entstanden war. My Own Little Label macht daraus eine Split-Angelegenheit: auf einer 3-Zoll-Mini-CD sind das rund 12-minütige "Haze Shrapnel" und ein 8-minütiger FREIBAND-Remix desselben vereint, denn wenn schon veröffentlichen, dann auch mit einer eigenen Note des Herausgebers.
Das Original schlägt sich eindeutig auf die ruhige Seite von "Molotov & Haze", der bis dahin "Glacial" und "Haze" angehörten, um einen Kontrast zu den dröhnenden "Molotov" und "Corrosive" zu bilden. "Haze Shrapnel" wird bestimmt von einem einzigen ausdauernden Grundton, der sich zwölf Minuten lang hält. Drumherum zerren Effekte den Ton zu einem langatmigen Wabern und machen es organisch. Interessanterweise hält "Haze Shrapnel" exakt die gleiche Tonart wie "Glacial" und "Haze" – das führt dazu, dass man es mit einem dieser beiden Stücke auf zwei verschiedenen CD-Playern gleichzeitig laufen lassen kann und eine atmosphärische Verdichtung herausbekommt – Multilayering hausgemacht.
FREIBAND stellt die ruhige Seite weiter heraus, indem er seinen Remix noch ruhiger anlegt. Bei ihm werden alle Effekte auf eine glatte Nulllinie zurückgefahren. Wo man bei Wilson noch einen permanenten Energiestrahl in einer zwar menschenleeren, aber beileibe nicht unbelebten Fauna sieht, ist der Energiestrahl bei de Waard in der Gesellschaft eines einzigen großen Nichts. Übrig bleibt folglich der Grundton, angereichert mit einer elektrisch knisternden Spannung. Am Ende folgt etwas Dumpfes und Leises im Hintergrund, das ein rückwärts gespieltes, durch einen Verzerrer geschicktes Orchester sein könnte, das in einer Kirche spielt.
FAZIT: Je weißer das Blatt, desto größer die Kreativität, ist hier das Motto: "Haze Shrapnel" ist an sich schon das ruhigste Stück im Vergleich zum zur Hälfte sehr minimalistischen Album "Molotov & Haze" – der FREIBAND-Remix dagegen reduziert die Akustik auf einen Hauch von gar nichts. Wer beim Anblick eines weißen Blattes Papier eher blockiert als beflügelt wird, der sollte um "Haze Shrapnel" einen großen Bogen machen.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 20.12.2010
Steven Wilson
Steven Wilson (Laptop), Frans de Waard
My Own Little Label
20:52
2008